Schluss mit Tod schweigen

Es braucht Überwindung, sich mit der Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Noch mehr, wenn es die eigene ist. Und das, obwohl der Tod «radikal normal» ist.

Von Natascha Gmür, 8.12.2022

Das gleiche Thema aber länger

Wie würdest du gerne sterben? Diese Frage steht gross neben den verschiedenfarbigen Zetteln an der Wand. Bei Gelb steht die Antwort: «Ich möchte nach einem langen Leben sterben», bei Hellblau: «Ich möchte zuhause sterben», und bei Violett: «Ich möchte vorher alles Wichtige geregelt haben.»

Unter anderem mit dieser Frage sollen sich die Besucher*innen der Ausstellung «Der Tod, radikal normal. Über das, was am Ende wichtig ist», auseinandersetzen. An kleinen Haken werden die farbigen Zettel von den Besucher*innen aufgehängt, wodurch die schwarze Wand von einem bunten Muster überdeckt wird. Die Ausstellung lädt immer wieder zum Interagieren ein. So wird am Eingang eine Karte mit zwölf Punkten verteilt, auf der «Ja», «Nein» oder «Weiss nicht» angekreuzt werden kann. Die Fragen dazu hängen über die Ausstellung verteilt in den verschiedenen Räumen. Knapp 3‘000 Besucher*innen haben die Umfrage ausgefüllt und zur Auswertung abgegeben.

Die Befragung fand während der Ausstellung «Der Tod, radikal normal. Über das, was am Ende wichtig ist» von Mai bis September 2022 im Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon SZ statt.

Am auffälligsten ist die klare «Nein»-Tendenz bei der Frage neun: «Darf man jemanden für seine Art kritisieren, wie er trauert?»

Ethiker und Co-Kurator der Ausstellung Jean-Daniel Strub gibt eine Einschätzung dazu:

Portraitfoto von einem lächelnden Mann mit Brille, der in die Kamera schaut.
Jean-Daniel Strub ist Mitbegründer und Ethiker bei der Firma «ethix». Die Ausstellung «Der Tod, radikal normal. Über das, was am Ende wichtig ist», hat er zusammen mit Karolina Widla kuratiert. © Natascha Gmür
Heller Ausstellungsraum mit mehreren Besucher*innen. Boden mit braunen Platten, lila reflektierende Ausstellungswände.
Bei der interaktiven Ausstellung sollten die Besucher*innen dazu angeregt werden, ihre eigene Beziehung zum Tod zu reflektieren. © Vögele Kultur Zentrum

Jean-Daniel Strub erklärt, dass die Ausstellung auf zwei Thesen basiert.

Der Titel der Ausstellung beinhaltet bereits die erste These: Der Tod ist radikal normal. Er ist eines der normalsten Dinge, da wir wissen, dass wir alle die Sterblichkeit teilen, sagt Strub. Die zweite These lautet, dass es bei genauerer Betrachtung nicht stimmt, dass über den Tod nicht gesprochen, oder er verdrängt wird. Natürlich ist das je nach Generation unterschiedlich und es setzen sich nicht alle gleich intensiv mit Patientenverfügungen oder Erbfragen auseinander, ergänzt Jean-Daniel Strub. Anders war es bei der Abstimmung über Organspende im Mai 2022, bei der sich die Schweizer Stimmbevölkerung mit dem Tod auseinandersetzen musste.

Jean-Daniel Strub über die Verdrängung des Sterbens:

Dass wir keine direkten Berührungspunkte mit Verstorbenen mehr haben und das Sterben selbst verdrängt wird, hängt damit zusammen, dass hinter Mauern in Institutionen gestorben wird, sagt Jean-Daniel Strub weiter. Tatsächlich sterben laut der News Plattform «Swissinfo» in der Deutschschweiz acht von zehn Personen in einem Alters- und Pflegeheim oder in einem Spital.

Institutionalisierung des Sterbens

Ende der 1960er-Jahre fand eine Verschiebung des Sterbeortes von zu Hause in Krankenhäuser oder Pflegeheime statt. Später zeichnete sich eine Umverteilung von den Spitälern in die Alters- und Pflegeheime ab. Diese Entwicklung hat unterschiedliche Gründe: Einerseits haben sich die häufigsten Todesursachen verändert. Infektionskrankheiten, welche im 19. Und frühen 20.Jahrhundert die häufigsten Todesursachen waren, wurden von chronischen und degenerativen Krankheiten abgelöst. Degenerative Krankheiten sind beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz – also Krankheiten, die im erhöhten Alter vermehrt auftreten. Ein weiterer Grund für die Entwicklung der Institutionalisierung des Sterbens ist, dass sich die Lebenserwartung durch bessere Lebensverhältnisse und mehr medizinische Möglichkeiten erhöht hat. Deshalb sterben die Leute heute seltener unerwartet und jung, sondern meist im hohen Alter. 

(Quelle: Beitrag in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 37, Heft 6 (2004) «Der Sterbeort: Wo sterben die Menschen heute in der Schweiz?»)

Doch nicht nur der Sterbeort hat sich verändert. Traditionelle Rituale rund um den Tod, wie beispielsweise das Waschen und Aufbahren der Verstorbenen zu Hause gehen immer mehr verloren. Auf der Suche nach einem offeneren Umgang mit dem Tod treffen wir im zweiten Teil der Reportage auf Menschen, die sich täglich damit auseinandersetzen. Einen Sarg von innen spüren, als Avatar durch einen virtuellen Erinnerungsraum spazieren und innerhalb von 30 Tagen wieder zu Erde werden:

Der HILA stellt sich den Berührungsängsten mit dem Tod.