Schluss mit Tod schweigen

Der Tod ist gewiss und doch gehen wir der Konfrontation mit ihm aus dem Weg. Bis jetzt.
Eine Auseinandersetzung mit Tod, Bestattung und Trauer.

Von Natascha Gmür, 8.12.2022

 25 Minuten

Das gleiche Thema, nur kürzer

Hinter ihm ist der Raum zur Aufbahrung von verstorbenen Personen. Vor ihm auf dem Couchtisch steht eine kleine, dampfende Teekanne. David Naef ist Bestatter und Geschäftsführer von «Caprez Bestattungen» in Chur. Pro Tag organisieren sein elfköpfiges Team und er zwei bis drei Bestattungen.

Definition «Aufbahrung»

Bei einer Aufbahrung wird die verstorbene Person vor der Beerdigung ausgestellt. Die Angehörigen können bei einer offenen Aufbahrung am geöffneten Sarg und bei einer geschlossenen Aufbahrung am verschlossenen Sarg Abschied nehmen. Der Vorgang dient den Angehörigen auch zum Begreifen des Todesfalls.

Portraitfoto von einem lächelnden Mann mit dunklen Haaren und Bart, der in die Kamera schaut.
Bei einer Führung durch sein Bestattungsunternehmen erzählt David Naef von seiner Arbeit © Natascha Gmür

Verstorbene Personen am Sterbeort abzuholen und zum Krematorium oder Friedhof zu überführen, ist die Kernaufgabe von Bestatter*innen. Ausserdem organisieren sie alles rund um das Grab – Termine, Blumen, Friedhof, Pfarrer, zählt David Naef auf. Auch die hygienische Grundversorgung wird bei jeder verstorbenen Person, die bei Caprez Bestattungen aufgebahrt wird, durchgeführt. Dabei werden alle Körperöffnungen desinfiziert, sowie die Speise- und Luftröhre verschlossen, sodass keine Gerüche und Bakterien nach aussen gelangen können. Augen und Mund werden ebenfalls verschlossen, erklärt der Bestatter sachlich. Mit Hilfe der Bestattungskosmetik wird die verstorbene Person so hergerichtet, dass sie möglichst natürlich aussieht. Dieser technische Vorgang sei emotional sehr wichtig, betont David Naef, da erst durch diese Versorgung eine Aufbahrung für die Angehörigen zumutbar wird.

Eine Bahre auf Rädern zum Transport von Verstorbenen steht in einem Keller.

Mit dieser Bahre werden die Verstorbenen zu Hause abgeholt. © Natascha Gmür

Camouflage-Make-up steht auf einer Ablagefläche aus Chromstahl.
Verschiedene Haut-und Lippentöne lassen die Verstorbenen so authentisch wie möglich aussehen. © Natascha Gmür
Ein paar grüne Schürzen hängen an einem Kleiderhaken. Auf dem Boden stehen Gummistiefel.
Die Schutzkleidung dient den Bestatter:innen beim Waschen der Verstorbenen vor allem zur Psychohygiene. © Natascha Gmür
Zehn Särge aufeinandergestapelt und in Plastikfolie eingepackt.
Pro Woche braucht das Bestattungsunternehmen etwa 20 Särge. © Natascha Gmür
Auf einem Holzregal stehen runde Urnen aus Holz in verschiedenen Helligkeitsstufen.
Im Geschäft sind verschiedene Urnenmodelle ausgestellt.  © Natascha Gmür

Den Abschied gestalten

David Naef und sein Team wollen vor allem einen begleitenden Charakter übernehmen. Sie managen und organisieren zwar alles rund um die Bestattung, begleiten die Angehörigen aber vor allem emotional.

«In unserer Kultur haben die meisten keine Vorstellung davon, was sie in dem Moment wirklich brauchen, damit sie sich gut verabschieden können.»

Deshalb stellt das Bestattungsteam den Angehörigen verschiedene Möglichkeiten für die Gestaltung des Abschiedes zur Verfügung. Angefangen beim Einbetten in den Sarg am Sterbeort, werden sie immer wieder in den Prozess miteinbezogen. Hierbei müssen die Bestatter*innen herausspüren, wo die Angehörigen mit eingebunden werden können und wo es zu weit geht, sagt David Naef. Laut ihm spielt der Körper der verstorbenen Person beim Abschiednehmen eine zentrale Rolle.

«Wenn man nicht weiss, wie man sich verabschieden soll, kann man einfach das machen, was sowieso gemacht werden muss.»

Als Beispiel dafür nennt Naef das Mithelfen, die verstorbene Person einzukleiden – vielleicht ein paar Socken anziehen, da die Person immer kalte Füsse hatte. Eine andere Möglichkeit, Abschied zu nehmen, kann auch sein, die Person beim letzten Gang zu begleiten. Das kann schon heraus vom Altersheim ins Auto stattfinden. Draussen eine Schweigeminute einlegen. Diese Dinge können genauso zum Abschiednehmen gehören, wie sich vom verstorbenen Körper in Form einer Aufbahrung zu verabschieden. David Naef erzählt, dass auch schon Briefe, Geschenke oder Zeichnungen vom Grosskind zur verstorbenen Person gelegt, oder Musik gespielt wurde. Was auch immer es ist – es ist wichtig, dass man irgendwie in die Handlung reinkommt, betont Naef.

«Für mich ist der einzig schlechte Abschied, den es gibt, kein Abschied.»

Damit meint er nicht, dass die Angehörigen die verstorbene Person nochmal sehen müssen. Jeder Mensch steht an einem anderen Punkt und was für einige stimmt, stimmt für andere nicht, sagt David Naef. Seiner Erfahrung nach tut es den Menschen jedoch gut, eine verstorbene Person zu verabschieden. Viele Menschen würden mehr ertragen, als sie sich zutrauen. Der Satz: «Ich behalte die Person so in Erinnerung, wie sie war», ist für ihn mehr ein Gedanke, um sich nicht mit der Realität auseinanderzusetzen.

«Wenn man sich dem stellt, dann kann man das beurteilen. Man kann sagen: Es war traurig, es stank (das tut es fast nie), es war ‚grusig‘, es hat mich entsetzt. Aber man kann es beurteilen und verarbeiten. Was man nie verarbeiten kann, ist das, was man nicht weiss – das Kopfkino. Das verfolgt einem viel länger, als wenn man sich der Realität stellt.»

Deshalb rät David Naef tendenziell immer zu einer Aufbahrung. Dafür hat das Bestattungsunternehmen in Chur zwei Aufbahrungsräume. Nebst dem Katafalk, der zur Kühlung und Aufbahrung der verstorbenen Person dient, stehen in den Räumen Sofas. Dadurch werden die Angehörigen eingeladen, im Raum zu verweilen.

Auf dem Smartphone zeigt David Naef Bilder von einem bunt bemalten Sarg im Aufbahrungsraum und erzählt die Geschichte dazu. Im Sarg befand sich ein Ehemann und Vater, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Sein Körper konnte technisch nicht mehr so hergerichtet werden, um der Familie eine offene Aufbahrung am Sarg zu ermöglichen.

«Ich finde, ein schlechter Bestatter hätte jetzt einfach gesagt: ‚Wir schicken euch die Urne nach Hause.‘»

David Naef hat der Familie empfohlen, an den geschlossenen Sarg nach Chur zu kommen. Innerhalb eines Nachmittags bemalte die Familie den Sarg, stellte Kerzen auf und nahm Abschied. Dieser Prozess hätte ohne Aufbahrung so nicht stattfinden können. Es gibt Orte in der Schweiz, an denen der Beruf der Bestatter*innen auf die Transportleistung reduziert wird, sagt David Naef.

«Für mich ist es eben mehr. Für mich ist es, Menschen begleiten. Für mich bedeutet es, eine Kultur rund um das Thema aufzubauen.»

Hier geht es um Leben und Tod

Ortswechsel nach Freiburg im Breisgau in die Sick-Arena. In der Halle reihen sich die Stände nebeneinander, auf der Bühne singt ein Chor, am Essensstand werden Brezeln verkauft. An der Kongressmesse «Leben und Tod» werden während zwei Tagen Produkte und Dienstleistungen rund um die Themen Vorsorge, Pflege, Begleitung, Abschiednehmen, Trauer sowie der Bestattungskultur präsentiert. Insgesamt rund 1‘800 Besucher*innen schlendern an der Kongressmesse durch die Halle, kommen ins Gespräch mit den Aussteller*innen oder hören sich offene Vorträge rund um Patientenverfügungen, Trauerbewältigung oder Bestattungsmöglichkeiten an.

Projektleiterin Meike Wengler im Gespräch über die «Leben und Tod».

Sofort ins Auge sticht neben dem bemalten Sarg ein weiterer, heller Sarg, der offen daneben steht.

Eine Person steigt in einen offenen Sarg. Der Deckel geht zu und wieder auf.
Die Einladung vom «Bundesverband Trauerbegleitung» zum Probeliegen, die erst irritieren mag, hat die Botschaft: Tod betrifft jeden Menschen. © Natascha Gmür

Weicher als erwartet fühlt sich das Innere des Sarges an. Die Hände werden reflexartig über dem Bauch gefaltet. Der Holzgeruch steigt in die Nase und das Lächeln auf dem Gesicht verschwindet, sobald der Deckel auf Wunsch verschlossen wird. Klare Stimmen von draussen vermischen sich zu einem gedämpften Brummen. Die Augen bleiben geöffnet, obwohl in der Dunkelheit nichts zu erkennen ist – der Atem wird flach. Nach einer halben Minute tasten die Hände sich seitlich am Holz nach oben, bis der Deckel erreicht ist. Ein Klopfen an den Sargdeckel von innen, und dieser wird wieder angehoben.

Eine andere Verwendung für einen Sarg hat der Verein «Sagbar» gefunden. Mit seiner «Sargbar» – Einer Bar, die aus einem Sarg besteht und auf Rädern fährt, hat er einen Stopp in Freiburg eingelegt. Mit dem Begriff «deathpositiv» wollen Nicole Honeck und Verena Brunnbauer eine Bewegung nach Österreich bringen, die ihren Ursprung in den USA hat. Die death-positive-Bewegung steht dafür, seine eigene Endlichkeit zu akzeptieren und das Leben in Freude zu geniessen.

Die Mitgründerin des Vereins «Sagbar», Nicole Honeck, erklärt unter anderem, wie Humor beim Umgang mit dem Tod helfen kann.

Ein weiteres Angebot des Vereins ist das Kartenspiel «Sarggespräche». Mit 105 Fragen über Leben und Tod sollen die Spieler*innen zum Nachdenken angeregt werden und ins Gespräch kommen. Nicole Honeck weiss von einer Person, die das Spiel zum ersten Tinder Date mitnahm, nach dem Motto: «Wenn wir nichts zum Reden haben, können wir gleich ans Eingemachte gehen.» Obwohl Nicole Honeck und Verena Brunnbauer das Spiel auswendig kennen, kommen auch bei ihnen auf dieselben Fragen immer wieder neue Antworten.

Trauer und Tod auf Social Media

Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich ein Trend zur Trostsuche im Netz abgezeichnet. Das englische Wort «grief» zu deutsch «Trauer» zählte im August 3.8 Milliarden Aufrufe auf der Social Media Plattform Tiktok. Ebenfalls im August 2022 zählte der Tiktok-Account @bestattungenburger unter allen deutschsprachigen Marken-Accounts auf Tiktok zu den erfolgreichsten. Gemessen werden die Tiktok Charts jeweils anhand der Likes. Durchschnittlich 64.000 Likes wurden pro Video generiert, in denen der 17-jährige Bestatter auf verschiedene Fragen rund um die Bestattung eingeht.

Bildschirmfoto vom Tiktok-Feed vom deutschen Bestatter Luis Bauer.

Luis Bauer arbeitet im Bestattungsinstitut «Bestattungen Burger» in Fürth, Deutschland und nimmt die Leute auf Tiktok mit in seinen Berufsalltag.

Dass das Thema auch in den sozialen Netzwerken aufgegriffen wird, findet die Projektleiterin der «Leben und Tod», Meike Wengler, super. «Das hat wieder mit dem Tabuthema zu tun, denn solange wir etwas nicht wissen, macht uns das Angst», sagt sie weiter. Dass ein junger Bestatter auf Tiktok von seinem Alltag erzählt und somit die Zuschauer*innen ein besseres Bild von seiner Arbeit bekommen, sieht Meike Wengler als positiv, solange es respektvoll bleibt und nicht reisserisch wird.

Technologie in der Bestattungsbranche

Innerhalb der Branche haben sich zwei neue Segmente entwickelt: «Death Tech» und «Grief Tech». Darunter fallen beispielsweise Online-Bestattungen, digitale Trauerfeiern oder Online-Todesanzeigen. Aber auch Online-Gedenkseiten für Verstorbene, Soziale Netzwerke zum Teilen von Erinnerungen, oder Chatbots und digitale Klone, die dabei helfen sollen, den Tod eines anderen Menschen zu verarbeiten, zählen dazu.

Auch der Bestatter aus Chur, David Naef, will im digitalen Bereich Erfahrungen sammeln. So arbeitet er mit der Trauerplattform «Place of Memory» zusammen. Auf der Webseite ist ein Sternenhimmel zu sehen, von dem jeder Stern symbolisch einer verstorbenen Person gewidmet werden kann. Wenn Angehörige an die Person denken, kann der Stern auf der Plattform «erleuchtet» werden und strahlt etwas heller am virtuellen Himmel. Von seinen Kund*innen hat Naef bislang keinen Auftrag für eine Anzeige auf der Online-Traueranzeige-Plattform erhalten. Um Onlinebestattungen ab 980 CHF anzubieten, hat sich David Naef eine eigene Plattform «bestatter-online.ch» aufgebaut. Von den ungefähr 800 Bestattungen, die Caprez Bestattungen jährlich durchführen, kommen nur um die zwei Anfragen über die Onlinebestattungsplattform rein. Obwohl sich Naef für die Zukunft in der Bestattung interessiert und weiss, dass die Digitalisierung ein Thema sein wird, sagt er: «In der Realität ist es einfach noch zu früh. In der Theorie existiert das alles, aber in der Praxis nicht.»

Als Avatar virtuell trauern

Ein junges Unternehmen, das voll und ganz auf die Digitalisierung setzt, ist der «Erinnerungsraum». An der Kongressmesse «Leben und Tod» in Freiburg können sich die Bersucher*innen mit einer Virtual-Reality-Brille im virtuellen Erinnerungsraum umschauen.

Die Mitgründerin vom «Erinnerungsraum», Lilli Berger, führt durch den virtuellen Raum.

Während die Erinnerungen an den virtuellen Wänden immer mehr werden, stellt sich die Frage, ob dadurch das Loslassen und Abschiednehmen nicht sogar erschwert werden kann. Damit bei den Hinterbliebenen kein Druck entsteht, den Raum regelmässig zu besuchen, wird er nur zu bestimmten Anlässen geöffnet, sagt Lilli Berger. Beispielsweise in der Woche zwischen Todesfall und Beerdigung, oder am ersten Todestag. Um den Erinnerungsraum für möglichst viele Personen zugänglich zu machen, funktioniert er nicht nur mit einer VR-Brille. Auch auf Smartphone, Tablet oder Laptop ist der Erinnerungsraum bereits aufrufbar.

Eine Zukunftsaussicht für den Erinnerungsraum

Bestattungsformen in der Schweiz

Während sich viele weitere Angebote auf der Messe in Freiburg immer mehr ins Digitale verlagern, bleibt das Sterben in der analogen Welt. In Sachen Bestattungsformen hat sich seit dem Aufkommen der Feuerbestattung in der Schweiz nicht mehr viel getan. 1889 nahm in der Schweiz das erste Krematorium den Betrieb auf. Mittlerweile hat die Feuerbestattung die Erdbestattung längst überholt. Etwas mehr als 80% der verstorbenen Personen in der Schweiz werden kremiert.

Dass in der Schweiz vor über 130 Jahren mit der Feuerbestattung die letzte und einzige Alternative zur Erdbestattung eingeführt wurde, wirft die Frage auf, ob die beiden gängigen Bestattungsformen noch zeitgemäss sind.

«Für mein Grosi, das sich aber wahrscheinlich noch nicht hätte kompostieren lassen.»

So beginnt Lina Hänni ihre Bachelorarbeit. Sie studiert Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich, interessiert sich für Kreisläufe, Ökosysteme und dafür, wie wir unsere Umwelt nachhaltiger gestalten können. Durch den Tod ihrer Grossmutter setzte sie sich das erste Mal mit der Bestattung auseinander. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit führte sie eine Fallstudie dazu durch, ob und wie die Kompostbestattung in der Stadt Zürich eingeführt werden könnte.

Eine junge Frau mit braunen Haaren lächelt in die Kamera.
Lina Hänni spricht über die Kompostbestattung und den neu gegründeten Verein «Werde Erde». © Natascha Gmür

Während die Bestattung in der öffentlichen Umwelts- und Nachhaltigkeitsdebatte nicht thematisiert wird, findet die Diskussion um Nachhaltigkeit innerhalb der Branche bereits statt, sagt Lina Hänni. Die direkten ökologischen Auswirkungen der Erdbestattung sind kaum erforscht. Welche Auswirkungen die Verwesung des Leichnams auf den Boden und das Grundwasser haben, bleibt im Moment noch ungeklärt. Bei einer Feuerbestattung entstehen beim Verbrennungsprozess der Kremation Rauchgase und Aschepartikel, erklärt Hänni. Diese Stoffe werden aus der Abluft des Kremationsofen rausgefiltert und in Form von giftiger Filterasche als Sondermüll in einem Endlager aufbewahrt. Ressourcen und Energie werden unter anderem bei der Herstellung von Bestattungsartikeln, wie beispielsweise Sarg, Urne, Leichenhemd oder Grabschmuck verbraucht. Die Kompostbestattung ist ein Lösungsvorschlag, um den ökologischen Fussabdruck einer Bestattung zu verringern.

Kompostbestattung – Wie funktioniert das?

Bei der Kompostbestattung kann der Energieverbrauch, der beim Prozess rund um die Feuer- und Erdbestattung benötigt wird, stark reduziert werden, sagt Lina Hänni. Damit ein Kompostierprozess in Gang kommt, braucht es vier Komponenten. Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Wasser. Kohlenstoff wird bei der Kompostbestattung in Form von Hackschnitzeln oder Stroh beigegeben, der Stickstoff in Form von grünem Pflanzenmaterial. Um den Kompostierprozess anzukurbeln, wird Wasser und Sauerstoff benötigt. Diese Aufgabe übernehmen die Mikroorganismen auf unserer Haut, im Darm und auf den Pflanzen, erklärt Hänni. Es werden keine Würmer, Asseln oder ähnliche Kleintiere beigegeben.

In 30 Tagen zu Erde werden

Was unvorstellbar klingen mag, wird bereits erfolgreich durchgeführt. In Amerika ist der Vorgang seit 2019 zugelassen und auch in Deutschland finden aktuell die ersten Kompostbestattungen statt. Bei der US-Amerikanischen Firma «Recompose» werden verstorbene Personen in eine Art Kokon gebettet und so innerhalb von 30 Tagen unter kontrollierten Bedingungen wieder zu Erde.

Bahre mit zugedeckter, verstorbener Person wird in Vorrichtung geschoben.
Der Körper der verstorbenen Person wird bei der US-Amerikanischen Firma «Recompose» in einer Art verschlossenem Kokon innerhalb von 30 Tagen zu Erde. Recompose © Natascha Gmür

Lina Hänni ist überzeugt, dass die Kompostbestattung ein zukunftsfähiges, alternatives Angebot ist, solange ein ganzheitlicher Aspekt angestrebt wird: Einerseits soll innerhalb dieser 30 Tagen Zeit für individuellen Abschied sein, der von den Angehörigen gestaltet werden kann. Andererseits kann die Erde, die schlussendlich entsteht, beispielsweise degradierte Böden wieder aufwerten und somit den Nährstoffkreislauf schliessen.

Wie der Nährstoffkreislauf bei der Kompostbestattung geschlossen wird:

Kompostieren für Fortgeschrittene

«Werde Erde» heisst der Verein, welcher Lina Hänni mit zwei Freundinnen gegründet hat – Einer Anwältin und einer Sterbe- und Trauerbegleiterin in Ausbildung. Die Vision des Vereins ist es, die Kompostbestattung in die Schweiz zu bringen, um eine ökologische Bestattungsmöglichkeit zu bieten. Dazu wollen sie in der Zukunft Workshops zum Kompostieren anbieten, sowie Vorträge und Veranstaltungen durchführen.

In der Schweiz ist die Kompostbestattung zurzeit weder verboten noch zugelassen. Sie wird bisher im Gesetz nicht erwähnt, sagt Lina Hänni. Das Bestattungsrecht ist in der Schweiz kantonal geregelt. Durch eine Erweiterung im Gesetz des jeweiligen Kantons könnte die Kompostbestattung aber neben der Feuer- und Erdbestattung als drittes Grundangebot eingeführt werden.

Kompostbestattung: Trend oder sinnvolle Alternative?

Ob die Kompostbestattung in der Schweiz bald zu einer weiteren Bestattungsform wird, bleibt abzuwarten.

Genauso wird erst die Zukunft zeigen, welche neuen Traditionen sich rund um den Tod, die Trauer und das Abschiednehmen durchsetzen. Die Ansätze dazu sind vielfältig, genauso wie die Meinungen darüber, welche Angebote und Umgangsformen sinnvoll sind und welche nicht.

Schlusswort der Autorin

Eine ganze Reportage in einem Online-Magazin für eine junge Zielgruppe dem Tod zu widmen – Thema verfehlt? Im Gegenteil:

Der Tod hat vor allem mit dem Leben zu tun. Was machst du mit der Zeit, die dir hier gegeben ist? Als Individuum triffst du jeden Tag bewusste und unbewusste Entscheidungen. Du regst dich über wichtige oder weniger wichtige Dinge auf. Im schnelllebigen Alltag steigt die Tendenz dazu, unangenehme Themen so lange zu verdrängen, bis du unvermeidlich damit konfrontiert wirst. Sterben, Trauer und Abschiednehmen werden schwere Themen bleiben und es braucht Überwindung und Energie, sich damit auseinanderzusetzen. Aber, wie der Bestatter David Naef sagt: «Ich glaube, man schätzt das Leben mehr, wenn man sich bewusst ist, dass all das, was wir hier haben, begrenzt ist.»

In diesem Sinne: Memento Mori – Sei dir der Sterblichkeit bewusst.

Eine weitere Reportage: What the fuck is Sexpositivity?