Vor dem Panorama der Alpen stehen hohe Wohnblöcke und im Vordergrund Mehrfamilienhäuser, die an eine Wiese grenzen.
Die Wohnmöglichkeiten in der Schweiz sind vielfältig. © Giulia Di Romualdo

Wohnen der Zukunft

Wohnen ist der Spiegel unserer Gesellschaft. Wie unsere Gesellschaft ist auch die Art, wie wir wohnen, in einem ständigen Wandel. Welche Einflüsse gibt es und wie werden wir in Zukunft wohnen? Eine Reportage über das Wohnen von morgen.

Von Giulia Di Romualdo und Daniel Fässler, 01.12.2022

 30 Minuten

Das gleiche Thema, nur kürzer

Das Thema Wohnen betrifft uns alle, aber jede Person auf ihre ganz persönliche Weise. In unserem Zuhause schlafen wir, essen wir, treffen wir Freunde, haben wir unsere intimsten Momente.

Mein Lifestyle betrifft meine Wohnung, hat Einfluss auf meine eigenen vier Wände. Als Teenie hängen wir Poster unserer Lieblingsband an die Wand, als Erwachsene lassen wir uns von der Einrichtung unserer Lieblingsserie beeinflussen. Die Gesellschaftsstrukturen sowie die finanziellen und politischen Verhältnisse unseres Wohnortes bestimmen aber zu einem grossen Teil, was wir überhaupt für Möglichkeiten haben, um zu wohnen. Egal ob in einer Wohnung, in einem Haus oder in einer WG, wir werden dabei von den externen Gegebenheiten stark beeinflusst.

Doch neben den typischen Einfamilienhäusern oder Stadtwohnungen gibt es verschiedene Projekte, welche die Art zu wohnen neu angehen. In Urtenen bei Bern leben viele Parteien zusammen unter einem Dach und zeigen uns bei einem Besuch, dass Teilen mehr ein Gewinnen anstatt Reduzieren ist – doch später dazu mehr.

Fakt ist, immer mehr Menschen wohnen heute in der Stadt. Darum ist es wichtig zu verstehen, was eine Stadt überhaupt ist und wie sie funktioniert.

Markus Schaefer, Architekt und Städtebauer, erklärt, warum eine Stadt viel mehr ist als nur Gebäude und Strassen.

Um eine hohe Interaktionsdichte zu erreichen, braucht es Orte der Begegnung. Diese machen eine soziale Stadt aus, findet auch Amir Malcus, Fachmitarbeiter vom Büro für Sozialraum und Stadtleben Zürich. «Eine soziale Stadt ist auch ein Ort, an dem Öffentlichkeit passieren kann. Das heisst, es braucht qualitätsvolle öffentliche Räume, die von unterschiedlichen Nutzergruppen aneigenbar sind.» Die Interaktion zwischen den Menschen in der Stadt muss über die Wohnungsgrenze hinaus möglich sein. Die Vielfalt einer Stadt definiert sich auch über ihre Bewohner*innen. So sollen möglichst alle Schichten Platz finden in einer Stadt, betont Amir Malcus. Dies bedingt aber, dass Wohnungen zu erschwinglichen Preisen für alle zur Verfügung stehen. Amir Malcus’ Arbeitskollegin Judith Dylla spricht die Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen an: «In einer sozialen Stadt können sich alle Menschen beteiligen, und zwar in verschiedensten Prozessen. Seien das bauliche sowie auch gesellschaftliche Prozesse. Es wird niemand ausgeschlossen.»

Mehr Wohnfläche pro Kopf – westliche Länder an der Spitze

Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf hat sich in den letzten Jahren stetig erhöht. Im Schnitt erweitert sie sich in den deutschsprachigen Ländern alle fünf Jahre um einen Quadratmeter. Gründe dafür sind vor allem der steigende Anteil an Einpersonenhaushalten sowie die Abwanderung aus ländlichen Regionen. Dort erhöht sich die Wohnfläche pro Person besonders schnell, da durch die Abwanderung nun auf derselben Wohnfläche weniger Menschen wohnen. Die Pandemie hat den Wunsch nach grösseren Wohnungen ausserdem weiter verstärkt, da wir mehr Zeit Zuhause verbracht haben – oder teilweise immer noch verbringen.

Aber nicht überall auf der Welt leben die Menschen mit gleich viel Platz. Im weltweiten Vergleich steht den Menschen aus den westlichen Ländern mehr Platz pro Person zur Verfügung.

Die Wohnfläche pro Kopf ist je nach Kultur und Wohlstand sehr unterschiedlich.

Die Anzahl Einpersonenhaushalte ist in den letzten 50 Jahren stetig gestiegen. Das zeigt sich auch in folgenden Zahlen: 1970 haben im Schnitt noch 2,9 Personen in einem Haushalt gelebt, 2020 waren es nur noch 2,2 Personen. Diese Zahlen sind besonders relevant, weil allein lebende Personen viel mehr Fläche nutzen, als ein Mehrpersonenhaushalt unter sich aufgeteilt. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) braucht eine alleinlebende Person im Schnitt etwa 80 Quadratmeter pro Kopf. In einem Mehrpersonenhaushalt sind es pro Person knapp 40 Quadratmeter.

Heutige Herausforderungen

Heute gibt es zwei grosse Probleme, die unser Wohnen in Zukunft direkt beeinflussen werden. Zum einen das Bevölkerungswachstum und zum anderen die Klimakrise. Beide Faktoren werden in Zukunft massgeblich zur Art beitragen, wie wir wohnen.

Je nach Szenario wird die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz um das Jahr 2040 auf 10 Millionen steigen. Das heisst, dass wir den verfügbaren Platz mit noch mehr Menschen teilen müssen. Bereits jetzt gibt es viele neue Ansätze, wie unter anderem platzsparender gelebt werden kann. Doch später dazu mehr.

Ständige Wohnbevölkerung

Die ständige Wohnbevölkerung umfasst alle Schweizer Staatsangehörigen mit einem Hauptwohnsitz in der Schweiz sowie alle Personen, die mindestens zwölf Monate mit Hauptwohnsitz in der Schweiz leben. Diese Zahl wird als Referenzzahl für die Bevölkerungsstatistik verwendet.

(Quelle: Bundesamt für Statistik BFS)

Nicht nur die blosse Summe der Bevölkerung wird steigen, sondern auch das Durchschnittsalter. Die sogenannte demografische Alterung ist kein neues Phänomen, sie wird aber in den Jahren 2020 bis 2030 stark beschleunigt werden, denn die Generation «Babyboom» wird in diesem Zeitraum in Rente gehen. Allein die Migration bremst die Alterung, da im Schnitt eher junge Menschen in die Schweiz migrieren und so das Durchschnittsalter wieder leicht nach unten ziehen, wie das BFS in ihrem demografischen Portrait der Schweiz schreibt.

Doch wie beeinflusst das nun unser Wohnen, unsere Stadt? Mit diesem Thema beschäftigt sich auch Amir Malcus: «Es gibt innerstädtisch schon Projekte, die sich diesem Thema sehr stark annehmen. Heute gibt es das klassische Beispiel: Man wird alt, ist 80 Jahre alt und geht ins Altersheim. Wir können aber wahrscheinlich davon ausgehen, dass dies in 20 Jahren nicht mehr zeitgemäss ist. Es gibt Ideen von Gross-WGs oder Clusterwohnungen, wo ältere Menschen dann beispielsweise ein Zimmer haben. Wir sind uns sicher, dass sich etwas ändern wird, denn die Generation, die jetzt alt wird, ist eine andere als vorher.»

In einer Pfütze spiegelt sich ein grosses Baugerüst.
Viele Gebäude werden umgenutzt oder saniert. © Giulia Di Romualdo

Den zweiten grossen Faktor stellt die Klimakrise dar. Heute ist uns allen bewusst, dass wir möglichst klima- und ressourcenschonend leben sollten. Das betrifft aber nicht nur unsere persönlichen Einkäufe, unsere Einrichtung oder den Energieverbrauch, sondern auch, wie unser Zuhause gebaut wurde. Denn die grösste Umweltbelastung entsteht beim Wohnen nicht durch Betriebsemissionen, sondern durch die nicht direkt ersichtlichen grauen Emissionen.

Graue Emissionen

Energie, die für ein Produkt benötigt wird. Angefangen bei der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Herstellung, Transport, Lagerung, Verpackung und der Entsorgung. Graue Emissionen entstehen auf verschiedenen Etappen eines Gebäudebaus.

Wenn wir wirklich nachhaltig sein wollen, müssten wir prinzipiell viel weniger bauen.

Neubauten erzeugen auf einen Schlag viele Emissionen. In Zukunft soll versucht werden, die Kreislaufwirtschaft und das Umbauen von bestehenden Gebäuden zu verfolgen und aktiv zu fördern. Das grösste Problem ist dabei aber immer noch, dass es günstiger ist, ein Gebäude ganz abzureissen und ein komplett neues Gebäude zu bauen, als etwas sauber abzubauen, die Materialien zu sortieren und diese dann wiederzuverwenden.

«Die Kreislaufwirtschaft ist eine unglaublich gute Idee, aber extrem schwierig zu implementieren», erklärt Markus Schaefer. «Die letzten paar hundert, wenn nicht tausend Jahre sind wir davon ausgegangen, dass wir unsere Externalitäten einfach in die Zukunft schieben oder im Ozean entsorgen können. Das ist gut gegangen, solange wir wenige Menschen waren. Heute sind wir aber sehr viele und darum ist diese Wirtschaft ohne zirkuläres Denken, die wir heute gewohnt sind, leider etwas, das wir fast nicht rückgängig machen können.»

Comeback der Sharing Economy

Um den kommenden Problemen möglichst entgegenzuwirken, wird beim Zusammenleben das Thema Sharing wieder wichtiger – auf lange Sicht sogar notwendig. Sharing, die gemeinsame Nutzung einer Ressource oder eines Raums sowie der Prozess des Teilens und Verteilens kann in vielen Lebensbereichen angewendet werden. An sich ist Sharing aber kein neuzeitiges Konzept, vielmehr ist es in den letzten sechzig Jahren immer mehr in Vergessenheit geraten.

Genossenschaften und städtische Liegenschaften

Verschiedene Sharing-Angebote sind wieder im Aufwind. Dabei muss es sich aber nicht immer um das Teilen von Gegenständen handeln. «Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen der Sharing-Ökonomie mit Gegenständen und dem, was viele Genossenschaften bereits machen», sagt Amir Malcus. «Wie auch städtische Liegenschaften stellen sie zum Beispiel Gemeinschaftsräume für die Bewohner*innen zur Verfügung. Das ist etwas, das auch wir als sehr wichtig erachten, weil genau dort das Soziale passiert.» Die Wichtigkeit solcher Angebote bestätigt auch Judith Dylla: «Das Bedürfnis nach gesellschaftlichem Raum, wo man sich ausserhalb der privaten vier Wände treffen kann, ist bei den Menschen in der Stadt definitiv gross.»

Das Büro für Sozialraum und Stadtleben unterstützt grosse Siedlungen im Aufbau der Nachbarschaftsnetzwerke. «Wir können Kontakte vermitteln, oder auch Apps empfehlen, die genau dafür entwickelt wurden. Zudem gibt es auch schon ganz einfache Möglichkeiten wie zum Beispiel via WhatsApp, wo man sich sehr einfach untereinander austauschen kann», erzählt Amir Malcus. Er weist aber auch darauf hin, dass gerade Genossenschaften sich dem Thema Nachbarschaftsnetzwerke bewusst sind und dies oft auch selbst aktiv angehen. Neben dem sich ändernden Lebensstil einiger Menschen ist auch die ökonomische Notwendigkeit ein wichtiger Faktor für den Aufschwung des Sharing. Die wachsende Zahl der Angebote und die steigende Zahl der Nutzer*innen zeigt deutlich, dass das Thema auch in Zukunft weiter an Wichtigkeit gewinnen wird.

Abendstimmung am Bahnhof, mehrere junge Menschen verlassen die Haltestellen der Postautos. Im Bahnhofsgebäude spiegelt sich die Sonne im Glas.
Auch öffentliche Plätze und der ÖV zählen zu den geteilten Einrichtungen und Räumen. © Giulia Di Romualdo

Der Wandel ist im Gange

Nicht nur das Thema Sharing erlebt ein Comeback. Auch andere Faktoren verändern sich und tragen ihren Teil zum Wohnen der Zukunft bei. So hat die Corona-Pandemie uns allen wieder verdeutlicht, wie wichtig unser Wohnraum ist. Homeoffice war plötzlich in vielen Branchen möglich, viel mehr Zeit wurde Zuhause verbracht und die eigenen vier Wände erhielten für viele Leute eine ganz neue Bedeutung. Gleichzeitig suchen viele Menschen vermehrt den Bezug und die Nähe zur Natur, sei dies bei einem Spaziergang durch den Wald, auf einer Joggingrunde oder beim Gärtnern im eigenen kleinen Garten.

Mit dem Bezug zur Natur und dem steigenden Bewusstsein der Nachhaltigkeit verändern sich langsam die Denkmuster. Die Menschen sind wieder eher bereit, mehr für qualitativ hochwertige und nachhaltige Produkte zu zahlen, als es noch vor zwanzig Jahren der Fall war. Das ist auch notwendig. Denn offensichtlich ist: Es muss ein Umdenken stattfinden. Die Frage nach den Kosten sollte durch die Frage nach Qualität und Langlebigkeit ersetzt werden. Denn so können wir unsere Nachhaltigkeitsziele besser erreichen.

Alternative Wohnformen

Im Zuge dieser Entwicklungen begegnen uns auch immer wieder alternative Wohnformen. Eine davon sind Tiny Houses: kleine Häuser, meist mit einer Wohnfläche zwischen 15 und 45 Quadratmeter. In einem Tiny House finden immer noch Bett, Küche, Bad und Wohnraum ihren Platz, allerdings ist alles kleiner und funktionaler. Die Idee dahinter ist, Wohnraum zu reduzieren und damit den ökologischen Fussabdruck zu verringern. Bereits beim Bau als auch im Betrieb werden weniger Ressourcen verbraucht.

Ein ähnliches Konzept ist Microliving – Leben auf kleinstem Raum. Der Vorteil gegenüber dem Tiny House: Es kann überall umgesetzt werden und braucht nicht ein eigenes Stück Land. Die Ideen von Microliving gehen dabei von kleinen Appartements mit weniger als zehn Quadratmeter Grundfläche bis hin zu Appartements mit verschiebbaren Innenwänden. Allerdings ist es aktuell noch schwierig, diese innovativen Konzepte massentauglich umzusetzen.

Die 2000-Watt-Gesellschaftssiedlung

Interessant ist auch das Projekt «Mehr als Wohnen» in Zürich-Leutschenbach. Eine gemeinnützige, genossenschaftliche Siedlung, die sich auf die Fahne geschrieben hat, eine 2000-Watt-Gesellschaftssiedlung zu sein. Markus Schaefer führt aus.

Würde die Energie fair verteilt, würde jeder Person stetig 2000 Watt zur Verfügung stehen.

Das Potenzial

Doch wie hoch ist das tatsächliche Potenzial solcher Wohnformen? Gemessen am Gesamtmarkt seien es natürlich immer noch Randerscheinungen, erklärt Markus Schaefer. Aber in Anbetracht der Diskussion, die rundherum stattfindet, sind es trotzdem zentrale Themen. Besonders das genossenschaftliche Wohnen oder auch Clusterwohnungen, wo mehrere Familien oder auch Paare und Einzelpersonen sich eine Wohnung teilen, sind spannende Möglichkeiten, die den Markt vervielfältigen. Diese Formen des Zusammenwohnens können in Zukunft durchaus an Relevanz gewinnen, besonders, wenn die Innenverdichtung weiter voranschreitet.

Jedoch sprechen die Zahlen (noch) für eine gegenteilige Entwicklung: Aus der Gebäude- und Wohnungsstatistik 2021 des BFS geht hervor, dass beispielsweise in der Stadt Zürich die Wohnungen tendenziell kleiner werden. Statt 3- bis 4-Zimmer-Wohnungen werden vermehrt 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen genutzt.

Dieser Gegensatz macht deutlich, dass das genossenschaftliche Wohnen bisher nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betrifft. Bis sich diese Entwicklung in den Zahlen widerspiegelt, dürfte es noch einige Jahre dauern.

Um das gemeinschaftliche Wohnen besser zu verstehen, machen wir einen Abstecher ins U-Huus.

Zu Besuch im U-Huus

Das Urtenenhaus, kurz U-Huus, befindet sich im Kanton Bern in Urtenen-Schönbühl. Hier leben insgesamt 28 Menschen aller Generationen, vom Kleinkind bis zu Pensionierten, unter einem Dach. Von der Kindergärtnerin zur Sexualpädagogin über Musiker bis zum Architekten – die Bewohner*innen sind vielfältig zusammengewürfelt. Das alte, umgebaute Bauernhaus unterhalten und beleben sie gemeinsam, teilen sich die Hausarbeit auf, kaufen Esswaren kollektiv ein und treffen Entscheidungen im Konsens. Verteilt in acht Wohnungen teilen sie sich den Gemeinschaftsraum im ganzen Haus. Die Grundidee hinter dem Projekt: Wenn grosszügig Gemeinschaftsfläche zur Verfügung steht, braucht der individuelle Wohnraum nicht so gross zu sein.

Ein frisch gebackener, aufgeschnittener Cake steht auf einem Holztisch.
Im U-Huus gibt es auch Selbstgebackenes für die Gemeinschaft. © Giulia Di Romualdo
Ein junger Mann sitzt in einem geflochtenen Schaukelstuhl in einem gemütlich eingerichteten Zimmer.
Timon im gemeinschaftlich genutzten Wohnzimmer. © Giulia Di Romualdo

Bei unserem Besuch im U-Huus haben wir Philippe (37) und Timon (18) getroffen. Philippe lebt seit mehreren Jahren in einer grossen Wohngemeinschaft. Timon und seine Familie sind vor zwei Jahren dazu gekommen, als sich die Gemeinschaft vergrösserte und in das U-Huus einzog. Schon beim Betreten des Hauses fällt uns die grosse Gemeinschaftsküche und das einladende Wohnzimmer auf. In der Küche begrüsst uns ein leckerer Duft von frisch gebackenem Kuchen. Wir setzen uns mit Philippe und Timon an den grossen Tisch im Wohnzimmer. Die Einrichtung wirkt einladend und es herrscht eine angenehme Ruhe; wir fühlen uns direkt wohl. Im Gespräch erzählen uns Philippe und Timon sehr offen und ausführlich über ihr Leben in dieser nicht ganz alltäglichen Wohnform. Wir kommen dabei sehr bald auf ihre Beweggründe für den Einzug ins U-Huus zu sprechen.

Miteinander statt nebeneinander leben

Das Zusammenleben funktioniert ähnlich wie in einer sehr grossen WG. Es gibt zum einen den Ämtliplan für Aufgaben, die im Haushalt anfallen. Zum anderen gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, die sich in wöchentlichen Sitzungen mit übergeordneten Themen der Gemeinschaft befassen. «Es gibt wenige Ämtli, die niemand machen will», stellt Philippe zufrieden fest. Denn wenn alle das machen, was sie auch gerne machen, bleibt am Ende gar nicht so viel übrig.

Wie das Zusammenleben hier funktioniert, merken wir spätestens, als uns Timon im Haus herumführt. Uns fällt sofort auf, dass die meisten Wohnungstüren offen stehen. Im Treppenhaus und im Gang treffen wir immer wieder auf Kinder beim Spielen, die ganz selbstverständlich von der einen Wohnung in die andere rennen.

Wir besuchen die Wohnung von Timons Bruder und seiner Familie. Wir sind erstaunt: Trotz grosser Gemeinschaftsküche und Esszimmer gibt es auch hier in der Wohnung eine kleine Küche und einen Familientisch. Der private Rückzugsort besteht also nicht nur aus Schlaf- und Badezimmer; jede Wohnung hat auch ihren privaten kleinen Bereich zum Wohnen.

In einem grossen Garten mit verschiedenen Bäumen steht ein Kinderwagen mit einem schlafenden Baby.
Im grosszügigen Garten finden alle Bewohner*innen ihre Ruhe. © Giulia Di Romualdo

Danach geht es nach draussen, in den Garten. Es herrscht eine ruhige und entspannte Stimmung. In einem Teil des Gartens wächst Gemüse und gleich nebenan steht ein Kinderwagen, in dem ein Baby seelenruhig schläft. Timon zeigt uns auch noch die Werkstatt sowie einen weiteren grossen Raum, der als Vorratskammer fungiert. Ein weiterer Vorteil der Gemeinschaft: Einmal pro Woche erhält das U-Huus eine Essenslieferung. So müssen nicht alle selbst einkaufen gehen.

In langen Metallregalen stehen Einmachgläser mit verschiedenen Konfitüren.

Neben in grossen Mengen gelagerten Alltagsnahrungsmitteln stehen auch verschiedene hausgemachte Köstlichkeiten zum Verzehr bereit. © Giulia Di Romualdo

Der Blick führt eine steile Treppe hinauf in einen hölzernen Giebel, wo eine weitere Leiter erkennbar ist.
Das alte Haus wurde mit vielen kreativen Lösungen komplett renoviert. © Giulia Di Romualdo

Ins U-Huus einziehen

Die Menschen im U-Huus decken fast jedes Alter ab. Einige sind bereits pensioniert, andere erst gerade auf die Welt gekommen. Gemäss Philippe braucht es gewisse Strukturen, Organisation und eine gute Kommunikation untereinander, damit das Zusammenleben in so einer grossen und vielfältigen Gemeinschaft klappt.

Wir fragen Philippe und Timon was es denn alles braucht, damit man als neue Bewohnerin oder neuer Bewohner ins U-Huus einziehen kann.

Grenzenloses Teilen?

Geteilt wird im U-Huus wahrlich viel. Dabei leben neun Erwachsene und deren Kinder sogar in einer gemeinsamen Ökonomie. Doch hat das Teilen auch Grenzen? Wo hört das Teilen im U-Huus auf?

Gemeinsame Ökonomie

Alle Mitglieder einer gemeinsamen Ökonomie zahlen ihre Löhne auf dasselbe Konto ein. Auf dieses gemeinsame Vermögen haben dann alle Zugriff und können darüber verfügen. In der Regel müssen grössere Anschaffungen angekündigt werden. Bedürfnisse der Mitglieder sind jedoch nicht verhandelbar.

Viele Wege führen zum Ziel

«Wir wollen, dass sich die Leute Gedanken machen, wie ein Zusammenleben mit anderen Menschen aussehen kann», sagt Philippe. «Die Idee, was wir hier machen, ist eigentlich uralt. Grossfamilien und grosse Gemeinschaften waren über viele Generationen die Norm – wir leben es einfach ein wenig moderner», stellt Philippe klar. «Manchmal hat man beim Betrachten von aussen wohl das Gefühl, dass wir eine abgeschlossene Einheit sind. Aber das sind alles Menschen mit ihren Geschichten und ihren Wegen. Damit es funktioniert, sollen und müssen wir alle trotzdem individuell sein und jeder seinen Weg gehen.»

Zum Schluss wünscht sich Timon: «Ich finde es cool, wenn wir mit einem solchen Projekt anderen Menschen Inspiration und Selbstvertrauen geben können, um es vielleicht selbst auszuprobieren. Es kann funktionieren!» Philippe fügt an: «Ich wünsche mir, dass die Art und Weise, wie wir leben, zum Nachdenken einlädt, ob es nicht einen nachhaltigeren Weg für sich selbst gibt.»

Wir bedanken uns und verlassen positiv überrascht und inspiriert das grosse Haus. Wir haben gesehen: Teilen heisst nicht, sich zu reduzieren – im Gegenteil. Durch die Gemeinschaft werden neue Möglichkeiten für alle geöffnet, weil mehr Raum und Möglichkeiten da sind für Dinge, die man sich als Einzelperson vielleicht nicht leisten könnte. Entgegen einigen Erwartungen haben wir keine Hippie-Kommune besucht, sondern eine Wohngemeinschaft von modern denkenden Menschen, von denen wir uns einiges abschauen können.

Ein bunter Strauss mit Gartenblumen steht auf einem schwarzen Tisch in einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer.
Das Wohn- und Esszimmer lädt zum gemütlichen Beisammensein ein. © Giulia Di Romualdo

Blick in die Zukunft

Für die Zukunft gibt es noch viele Herausforderungen zu meistern. Doch was kommt wirklich auf die Stadt Zürich zu? Amir Malcus und Judith Dylla heben zwei grosse Herausforderungen hervor.

Unvorhergesehene Faktoren können unerwartete Trends auslösen.

Stadt gut, alles gut?

Eine Schweiz mit ungefähr zehn Millionen Einwohner*innen ist ein Szenario, das in den nächsten Jahren oder spätestens Jahrzehnten eintreten wird. Wenn die Verdichtung in den Städten weiterhin stattfindet, muss der richtige Ansatz verfolgt werden. Darum wollen wir nochmals die Aussage von Markus Schaefer hervorheben: «Wichtig ist, dass nicht einfach nur mehr Geschossfläche pro Quadratmeter Stadtfläche gebaut wird, sondern dass vor allem auch mehr Personen auf dieser Fläche untergebracht werden. Schlussendlich heisst das für uns alle ein bisschen näher zusammenrücken.» Was natürlich nicht funktioniert ist, wenn einerseits mehr gebaut wird und gleichzeitig auch die Wohnfläche pro Person ansteigt. Markus Schaefer findet aber auch, dass die Städte schon vieles gut machen. «Ich denke, die Fragen werden sich in den Vororten und in der Agglomeration stellen. Dort muss man trotz weniger Möglichkeiten sicherstellen, dass die punktuellen Verdichtungen wirklich geleistet werden können. Die Städte sind aus meiner Sicht auf einem relativ guten Weg.»

Schlusswort der Autor*innen

Wie wir gesehen haben, kann niemand sicher sagen, wie unsere Wohnungen oder unser Quartier in Zukunft aussehen werden. Unvorhergesehene Faktoren wie eine Pandemie oder auch die voranschreitende Digitalisierung können neue Trends auslösen oder unseren Alltag und somit auch unsere Wohnbedürfnisse in eine ganz andere Richtung lenken. Doch die grossen Faktoren Bevölkerungsentwicklung und Klimawandel werden mit Sicherheit weiterhin einen Einfluss haben. Es gibt viele spannende Ideen und Ansätze, um diesen beiden Faktoren entgegenzuwirken. Doch bei all den kreativen Lösungsansätzen wird es wichtig sein, dass diese massentauglich gemacht werden, damit eine möglichst breite Schicht der Bevölkerung davon profitieren kann.

Vermutlich dürfen wir uns darauf einstellen, dass wir in Zukunft effizienter und ressourcenschonender leben müssen. Mehr Geselligkeit und Leben in Gemeinschaften werden ins Zentrum rücken und die heute sogenannten «alternativen Wohnformen» könnten eine wegweisende Rolle einnehmen. Es wird Zeit, dass wir Menschen wieder enger zusammenrücken.

Blick aus dem Fenster auf ein benachbartes Altbau-Haus, bei dem auf einem Balkon ein oranger Sonnenschirm von der Abendsonne beleuchtet wird.
Das Wohnen, wie wir es heute kennen, wird sich anpassen müssen. © Giulia Di Romualdo

Eine weitere Reportage: Mysterium Metaverse