Reguläre Illegalität – ein Leben im Ungewissen
Isoliert auf dem Land oder im unterirdischen Bunker – so leben abgewiesene Flüchtlinge in der Schweiz.
Von Sara Spreiter, Liza Mia Stoll, Sandro Huber und Philip Vornholt, 15.12.2022
Das gleiche Thema aber länger
Inmitten der Bündner Bergidylle liegt das Ausreisezentrum Flüeli. Akil wohnte hier drei Jahre lang und das unfreiwillig.
Seit ungefähr sechseinhalb Jahren lebt Akil in der Schweiz und war bis vor einigen Monaten ein sogenannter regulärer Illegaler. Akil möchte anonym bleiben, seinen Namen haben wir geändert. Der Begriff reguläre Illegale beschreibt unter anderem Menschen, die ein negatives Asylgesuch erhalten haben und eine Wegweisung vorliegt. Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) werde versucht, die Wegweisung ins Heimatland so schnell wie möglich zu vollziehen. Dies, während die Asylsuchenden noch in einem Bundesasylzentrum wohnen. Dort gibt es jedoch eine maximale Aufenthaltsdauer von 140 Tagen. Lässt sich die Wegweisung nicht innerhalb dieser Frist vollziehen, werde die geflüchtete Person aus dem Bundesasylzentrum ausgeschlossen und einem Kanton überwiesen.
Bis zur definitiven Ausreise leben die abgelehnten Asylsuchenden allerdings in einer paradoxen Situation. Paradox, weil sie rechtlich illegal in der Schweiz sind, oftmals aber nicht zurück in ihr Heimatland können. Dies aufgrund fehlender Papiere oder auch weil sie Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland befürchten.
Während dieser Zeit, die sich nicht selten über mehrere Jahre zieht, sind die Betroffenen auf Nothilfe angewiesen. Laut der schweizerischen Flüchtlingshilfe umfasst diese Nahrung, Hygiene, Kleidung, Unterkunft und medizinische Grundversorgung.
Was ist die Nothilfe?
Laut dem Artikel 12 der Bundesverfassung hat jede Person, die in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Nothilfe. Das heisst auf alle Mittel, die es für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Dazu gehören unter anderem Nahrung, Kleidung und eine Unterkunft. Zudem sind nothilfeberechtigte Personen bis zur Ausreise aus der Schweiz obligatorisch krankenversichert und haben Zugang zu allen medizinischen Pflichtleistungen des Krankenversicherungsgesetzes. Zuständig für die Nothilfe sind die Kantone. Um die Nothilfe zu erhalten, müssen Personen ohne Aufenthaltsbewilligung beim Kanton einen Antrag stellen.
Als Unterkunft dienen dabei verschiedene Arten von Einrichtungen. In einigen Kantonen sind es Rückkehrzentren, auch Ausreise- oder Nothilfezentren genannt. Akil lebte über drei Jahre in einem solchen Zentrum. Und genau diese Zentren geraten immer wieder in die Kritik. Teilweise leben Menschen in unterirdischen Anlagen oder in Containern. Zudem sind die Zentren oft weit von der Zivilisation entfernt und teilweise nur zu Fuss oder mit dem Auto erreichbar.
Wir wollten wissen, wie viele dieser Zentren es in der Schweiz gibt und wo sich diese befinden. Dafür haben wir das SEM kontaktiert. Ihre Antwort: «Das SEM hat keine Kenntnis über die Rückkehr/Ausreisezentren von Kantonen und deren Betrieb. Wenden Sie sich für diese Frage bitte an die Kantone.»
Gesagt, getan – wir haben alle Kantone einzeln kontaktiert. Hier eine Übersicht.
In diversen Kantonen befinden sich Zentren für abgewiesene Asylsuchende.
Einige Kantone bringen die Geflüchteten auch in Wohnungen, Bundesasylzentren oder Kollektivunterkünften unter. Möglichkeiten scheinen genügend zur Verfügung zu stehen. Doch was, wenn die Zahlen immer weiter steigen? Das SEM rechnet im Jahr 2022 mit mindestens 22 000 neuen Asylgesuchen.
Nach der Flüchtlingswelle 2015 / 2016 steigen die Asylgesuche aktuell wieder.
Hat diese Zunahme Auswirkungen auf die Situation in den Rückkehrzentren?
Denn bereits jetzt ist die Situation in einigen davon schwierig. In unserer Recherche begegneten uns Wörter wie «elend», «prekär» oder «unmenschlich», um die Situation in einigen Zentren zu beschreiben. In manchen Fällen leben die abgewiesenen Asylsuchenden mehrere Jahre in diesen Zentren, ohne Integrationsmassnahmen oder Beschäftigung.
Medien erhalten oft keinen Zutritt zu Rückkehrzentren, die schweizer Bevölkerung weiss kaum, dass solche Unterkünfte existieren und es die Situation der regulären Illegalität überhaupt gibt. Wir waren in drei verschiedenen Zentren vor Ort und haben mit einem ehemals regulär Illegalen gesprochen. Mehr dazu im HILA.