Mysterium Metaverse
Arbeit, Freizeit, Bildung oder Shopping. Die Optionen im Metaverse scheinen grenzenlos zu sein. Eine Reportage über Erfüllung, Kritik und Intransparenz.
Von Anna Nüesch und Flurin Pestalozzi, 28.11.2022
21 Minuten
Das gleiche Thema, nur kürzer
Die wichtigsten Fachbegriffe
NFTs… sind Non-fungible-Tokens. Sie sind digitale Objekte, beispielsweise Kunstwerke, die nur jemandem gehören können.
Augmented-Reality (AR)… bedeutet, dass virtuelle Objekte in die reale Welt eingefügt werden. Der Zugriff erfolgt über eine VR-Brille oder das Smartphone.
Virtual-Reality (VR)… ist die komplette virtuelle Welt ohne Bezug zum eigentlichen physischen Standort der User*in. Der Zugriff erfolgt über eine VR-Brille.
Blockchain… ist eine öffentliche Datenbank, in welche User*innen Einblick in sämtliche digitale Transaktionen erhalten, die je gemacht wurden. Sowohl NFTs wie auch Kryptowährungen basieren auf der Blockchain-Technologie.
Kryptowährungen… bezeichnen digitale Vermögenswerte und Zahlungsmittel, die öffentlich einsehbar sind – Sender*in und Empfänger*in bleiben aber stets anonym. Die berühmteste Kryptowährung ist Bitcoin.
Der Begriff Metaverse ist in aller Munde und trotzdem sind konkrete und einfache Erklärungen selten zu finden. Wir wagen einen Versuch:
Metaverse Erklärvideo
Kommt es wirklich?
Dieser digitalen Entwicklung des Metaverse steht Johan Rochel kritisch gegenüber: Er ist Rechtsphilosoph und berät mit seiner Firma Ethix in Zürich Unternehmen, die sich im digitalen Raum aufhalten. Er verfolgt die Entwicklung des Metaverse genau und sagt:
Johan Rochel – Kommt das Metaverse überhaupt?
Für ihn ist das Metaverse ein «Hype». Es führe die Diskussion über digitale Ethik aber auf ein ganz neues Level, so Rochel. Seit dem Aufkommen der Sozialen Medien musste der Umgang im Netz analysiert werden, denn Probleme wie Mobbing und Hassrede haben eine neue Dimension erhalten. «Alle Probleme, die wir bis jetzt identifizieren durften, werden noch einmal kommen.» Das Prinzip Metaverse sei gar nicht neu. Gerade in Gaming-Communities gibt es schon seit vielen Jahren Plattformen, die es erlauben, mit einem Avatar in eine neue Welt einzutauchen und mit anderen Personen zu interagieren. Ob dieses Prinzip auch funktioniert, wenn man keinen spezifischen Grund wie beispielsweise Gaming hat, um ins Metaverse zu kommen, bezweifelt Rochel. Heute sei es ein Nischenprodukt und dass dies so bleibe, sieht Rochel als völlig gerechtfertigt.
Rochels grösster Kritikpunkt in einem Satz zusammengefasst: Code is Law. Code ist Gesetz. Denn die Politik der Plattformen steckt in den AGB’s.
«Wer eine Plattform programmiert, entscheidet darüber, was die Leute machen dürfen und was nicht. Für die persönliche Freiheit und für ein Unternehmen ist das eine massive Bedrohung.»
Ob es auf einer Plattform beispielsweise möglich ist, nur ein Like (und kein Dislike) zu geben, schränke die Personen in ihren Handlungen ein. Für Rochel handelt es sich bei solchen Entscheidungen um eine klare Manipulation der User*innen. Jene Unternehmen, die den Code schreiben, haben somit alles in der Hand. «Es besteht von Anfang an eine Abhängigkeitsgefahr», so Rochel. Die Unternehmen haben die Macht über den Code, auch wenn es sich nicht um eine zentralisierte Plattform handelt. Dazu später mehr.
Eine Galerie in digital
Ein virtuell erstellter Avatar durchschreitet die Eingangstür zur Kunstgalerie. Noch haben sich keine anderen Kunstinteressierte eingefunden. Aus einem Bilderrahmen zwinkert ihm ein verpixelter Affe zu, während er mit der Hand eine unrühmliche Geste macht. Zu einer leichten Jazz-Melodie schlendert er durch die Ausstellung und bewundert die digitalen Kunstwerke. Mal stechen ihm schrille Farben einer fotorealistischen Komposition ins Auge, ein anderes Mal ist nichts anderes ausser zufällige Pixelraster zu erkennen.
Für die Kunstwelt haben sich mit dem Metaverse ganz neue Türen geöffnet. Sogenannte NFTs ermöglichen es Künstlerinnen und Künstlern, ihre Kunst in der digitalen Welt zu verkaufen und zu vervielfachen.
Eine Künstlerin, die den Sprung ins Metaverse gewagt hat, ist Sarah Montani. Auf ihrer Webseite beschreibt sie sich als digitale Pionierin und Crypto- & Blockchain Artist. An der Biennale Venedig 2022 war sie die einzige Künstlerin, die Augmented-Reality-Kunst ausstellte.
Montanis Behauptung: Im Metaverse könne man glücklich werden. Das Metaverse erfülle sie als Künstlerin und es ergeben sich für sie neue Möglichkeiten. Doch was bedeutet diese digitale Welt für ihre Kunst? «Es haben sich ganz neue Perspektiven eröffnet.» In der digitalen Welt sei es beispielsweise möglich, auf einen Weiterverkauf ihrer Kunstwerke eine Provisionierung zu erhalten. Nach einem ersten Verkauf im realen Leben habe sie im Vergleich zum Metaverse keine Kontrolle mehr über ihre Kunst. Sarah Montani sieht das Metaverse als eine riesige Chance. Ein digitaler Spielplatz quasi. Grenzen gibt es für sie wenige. Die Grenzen zwischen den beiden Realitäten, der physischen und der virtuellen, verschmelzen für Montani immer öfter. Sie habe sogar oft Schwierigkeiten, die reale Welt vom Digitalen zu unterscheiden.
«Wenn ich in den Wald spazieren gehe, dann sehe ich plötzlich einen Schmetterling und frage mich, ob dieser echt ist. Manchmal bin ich mir nicht mehr sicher, was real ist und was nicht.»
Der Aufenthalt im Metaverse verändere die Wahrnehmung der Realität automatisch, so Montani. Auch die eigene Persönlichkeit muss nicht identisch zu jener innerhalb des Metaverse sein. Den virtuellen Avatar stellt sich jeder oder jede zusammen, wie er oder sie das will. Wie sieht es mit der Identität aus? Ist man im Metaverse eigentlich noch sich selbst?
Sarah Montani – Identität im Metaverse
Und wo sieht Montani das Metaverse in drei Jahren? Immer mehr Unternehmen werden sich laut der Künstlerin mit der Arbeit im Metaverse auseinandersetzen. «Während den Corona-Lockdowns haben wir gemerkt, dass virtuelle Calls über beispielsweise Zoom keinen Spass machen. Eine Sitzung im Metaverse abzuhalten, wird um ein Vielfaches spannender sein.» In der Bildung sieht Montani weitere Chancen: «3D-Modelle für die Medizin oder die Architektur werden sich etablieren.» Die Inhalte zu vermitteln, sei über das Metaverse mit Hilfe von Virtual und Augmented Reality viel einfacher als über ein Lehrbuch.
Wo sich diverse Möglichkeiten befinden, lauern natürlich auch Gefahren. Man geniesst eine gewisse Anonymität, wenn man beispielsweise als Superman an eine «Outer Space Disco» geht, um seine ausgefallensten Dance Moves zum Besten zu geben. Doch diese Anonymität gilt nur gegenüber den anderen Teilnehmer*innen. Die Plattformbetreibenden wissen genau, wer hinter diesem Superman steckt, der in der ersten Reihe vor dem DJ Pult zum Beat der Musik sein Tanzbein schwingt. Problematisch wird es ab diesem Zeitpunkt, wenn der Superman beginnt, andere Avatare anzufeinden oder sie zu beleidigen.
Rechtsphilosoph Johan Rochel setzt sich in seiner Tätigkeit oft mit Fragen rund um Datenschutz auseinander. Im Metaverse müsse auch über die Datensicherheit noch einmal neu diskutiert werden. Denn: «Es ist nicht zu vergleichen mit dem realen Leben. Hierzu ein Beispiel: Vielleicht treffe ich bei einem Spaziergang in Zürich meinen Nachbarn und nur er weiss, dass ich an diesem Ort zum Zeitpunkt X war. Im Metaverse ist das alles nur Information. Alles, was wir im Metaverse machen, ist Data.» Unsere Handlungen seien somit noch rekonstruierbarer als im «realen» Leben. Die Privatsphäre zu schützen, wird durch das Metaverse immer schwieriger. Kurzer Einschub: Bei datenethischen Fragen wird sehr schnell der Begriff Regulation genannt. Denn alle Plattformen, die wir bisher kennen, werden von einer Autorität geregelt. Der aktuelle Stand sieht wie folgt aus:
Metaverse – Zentralisierung
Wie real dieses Risiko der Zentralisierung ist, weiss Künstlerin Sarah Montani. Sie stellt ihre Kunst aktuell auf der Plattform AltspaceVR aus. Was sie bisher festgestellt hat: Ihre Kunst kann auch sehr schnell wieder weg sein. Viel Arbeit für nichts. «Alle Softwares, die ich genutzt habe, um meine Kunst zu machen, sind relativ rasch wieder verschwunden», stellt Montani fest. Der Grund: Die grossen Technologie-Unternehmen, beispielsweise Microsoft, kaufen gut funktionierende Plattformen auf. Was danach mit den Plattformen und dessen User*innen geschieht, entscheidet das Unternehmen ganz alleine. Ein Machtverhältnis, das uns im Verlauf unserer Recherche mehrmals vor Augen geführt wird.
Fluch und Segen
Die Gegensätze bei den Meinungen zum Metaverse könnten aktuell nicht grösser sein. Das Misstrauen, aber auch der Reiz gegenüber dem Metaverse ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Sarah Montani ist fest überzeugt, dass das Metaverse unser Leben bereichert. Sie setzt sich seit einiger Zeit mit Glück im Metaverse auseinander und sagt: «Das Metaverse wird uns glücklich machen, wenn wir das Glück nicht gezwungenermassen im Metaverse suchen. Eine passive Berieselung, wie beispielsweise bei Netflix, wird nicht zu Flow führen, auch nicht im Metaverse. Es ist wichtig, dass man das Metaverse nutzt, um eine gewisse Aktivität zu machen. Dann kann man das Glück dort finden.»
Für Johan Rochel stehen ganz andere Fragen im Vordergrund. Die Gesellschaft hat heute Grundsätze, nach denen wir zusammen leben. Diese Prinzipien müssen fürs Metaverse noch einmal überdenkt werden. Die Regeln der realen Welt gelten auch im Metaverse: Respekt, Schutz der Freiheit, Solidarität, Gleichstellung und keine Diskriminierung. Der Kontext einer Metaverse-Plattform verändert aber die Einhaltung dieser Prinzipien. Hinkt man nicht hinterher, wenn man erst jetzt darüber diskutiert, obwohl es solche Plattformen doch schon gibt? Rochel meint dazu: «Ich glaube nicht, dass im Metaverse das Prinzip Respekt keine Bedeutung mehr hat. Hier kommt für mich wieder die Abhängigkeit ins Spiel: Wir sind darauf angewiesen, dass ein Privatunternehmen diese Grundprinzipien durchsetzt. User*innen sind aktuell passiv dabei. Viel verlangen können wir aktuell nicht.»
Ob Erfüllung oder Kritik, das Metaverse gibt zu reden. Die bestehenden Plattformen werden finanziell enorm gepusht. Doch aktuell zeichnet sich ein Schatten über dem Metaverse-Business ab. Die Meta-Aktie ist seit Anfang Jahr im Sturzflug und hat Mark Zuckerberg einen Milliardenverlust beschert. Das zeigt: Gewinn bringt das Metaverse aktuell noch wenig ein. Die Nutzer*innenzahlen bei Metas Plattform Horizon Worlds sind rund 30 Prozent tiefer als die selbstgesteckten Ziele. Ausserdem hat Mark Zuckerberg Anfang November 2022 knapp 11’000 Mitarbeiter*innen von Meta entlassen. Ein Kahlschlag, unter anderem wegen den enormen Kosten, die Meta zu decken hat. Hohe Investitionen, ein rückläufiges Werbegeschäft und Fehleinschätzungen in der Strategie müssen nun ausgebadet werden. Zum Nachteil der entlassenen Mitarbeiter*innen.
Auch andere Plattformen verzeichnen aktuell (noch) keinen grossen Zustrom an Nutzer*innen. Faktisch ist das Bedürfnis nach Plattformen im Metaverse noch nicht bewiesen. Ob der Erfolg so eintrifft, wie sich das aktuell viele Unternehmen wünschen, ist noch nicht in Stein gemeisselt.
Die Intransparenz der Tech-Konzerne
Ein Kommentar von Flurin Pestalozzi und Anna Nüesch
Die Digitalisierung schreitet stetig voran. Der Wirtschaftsstandort Zürich wird immer bedeutender für Technologie-Konzerne. Praktisch unbemerkt entsteht ein Silicon Valley 2.0. Bestehende Technologie-Firmen bauen ihren Standort Zürich aus und neue Firmen werden gegründet. Alleine Google beschäftigt mittlerweile rund 5000 Mitarbeiter*innen in Zürich und hat im Juni 2022 einen modernen neuen Campus eingeweiht.
Während vier Monaten versuchten wir nachzufragen, wo die dominierenden Player der Tech-Konzerne die Chancen und Risiken vom Metaverse sehen. Alle wollen davon profitieren, aber unsere Fragen beantwortete uns keiner. Nach dem Besuch eines Metaverse Summits, einer Informationsveranstaltung einer Anwaltskanzlei, versuchten wir die vortragenden Personen der Firmen Meta und Google per Mail zu kontaktieren. Doch wir fanden keine Mail-Adressen der jeweiligen Personen und wurden von der Kanzlei auch nicht weitergeleitet.
Meta baut seinen Standort ebenfalls aus, zuletzt von 200 auf 350 Mitarbeitende. Das Büro in Zürich ist Teil der «Reality Labs» von Meta. Diese beschäftigen sich primär mit Virtual und Augmented Reality. Zudem wurde die Firma Oculus, welche High-End VR-Brillen in ihrem Portfolio hat und schon jahrelang in diesem Bereich forscht und entwickelt, von Meta für geschätzte 2 Milliarden Dollar übernommen.
Grosser Anstieg sowohl auf Arbeitgeber*innen wie Arbeitnehmer*innenseite: Laut dem Statistischen Amt Zürich profitiert die Stadt von hoher Beliebtheit im Tech-Sektor.
Auch Microsoft hat erkannt, wie vorteilhaft es ist, ein Forschungslabor in Zürich einzurichten. Das Unternehmen gründete das «Mixed Reality & AI Lab» mit direkter Anbindung an die ETH Zürich. Die Nähe zur ETH, einer der besten technischen Hochschulen der Welt, verspricht ein stetiger Zustrom von jungen talentierten Software Ingenieur*innen. Das Labor wird von Marc Pollefeys, Mitarbeiter von Microsoft, geleitet. Er doziert ebenfalls an der ETH.
Also starteten wir unsere Recherche zum Metaverse in Zürich. Welche Technologien werden hier in Zürich für das Metaverse entwickelt? Erstes Fazit der Kontaktaufnahme: Google, Meta und Microsoft haben sich mit Mauern umgeben, die kaum zu überwinden sind. Zu Beginn wendeten wir uns an die Pressestellen der genannten Firmen. Ohne Erfolg. Gründe für die Absagen gab es keine.
«Danke für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an Google. Leider können wir Ihnen zu diesem Thema kein Interview anbieten.
Herzlichen Dank für Ihr Verständnis und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Recherche.
Freundliche Grüsse»
Da uns der öffentliche Weg der Kontaktaufnahme kein Erfolg brachte, versuchten wir über verschiedene Angestellte ein Interview zu organisieren. Entweder gab es gar keine Antwort oder wir wurden erneut auf die Pressestelle verwiesen. Insgesamt standen wir mit 14 Personen in Kontakt. 28 Mails und 4 Anrufe später mussten wir uns geschlagen geben.
Müssen die grossen Tech-Konzerne überhaupt Auskunft geben, wenn es gar nicht in ihrem Interesse ist, einen Einblick in ihre Forschung und ihre Arbeit zu gewähren? Die Antwort ist ein ganz klares Ja.
Täglich nutzen wir Handys, Suchmaschinen oder Social Media Plattformen, welche von Google, Microsoft oder Meta kontrolliert werden. Nicht weil wir eine Wahl haben, sondern weil es keine praktischen Alternativen gibt, wenn man nicht von der Zivilisation abgeschottet leben will. Die Tech-Grössen geniessen eine totale Monopolstellung. Unsere Leben durchleuchten sie bis aufs kleinste Detail, erstellen Persönlichkeitsprofile und kennen unsere Vorlieben, Interessen und Sorgen. Sobald man den Spiess umdrehen will, um von ihnen etwas zu erfahren, sind Kontaktmöglichkeiten unauffindbar oder man stösst auf Ablehnung.
In einer funktionierenden Demokratie muss der Diskurs immer gewährleistet werden. Die Grossunternehmen können sich nicht erlauben, die Türen vor der Öffentlichkeit zu verschliessen. Und trotzdem tun sie es und treten die Öffentlichkeit mit Füssen. Eine technische Errungenschaft wie das Metaverse wird möglicherweise Millionen von Menschen beeinflussen. Es birgt zahlreiche Risiken wie Datenschutzprobleme, Überwachung oder Suchtpotenzial und muss deshalb von allen Seiten kritisch beleuchtet werden. Doch dies ist hier in Zürich nicht möglich und daher undemokratisch.
Eine weitere Reportage: Wohnen der Zukunft