Aus dem Hamsterrad

Multilevel-Marketing ist eine wachsende Branche. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Von Lisa Winzeler, 19.12.2022

Das gleiche Thema aber länger

«Hast du dich auch schon gefragt, warum es Menschen gibt, die jetzt während dieser Krisenzeit sehr strugglen, die Mühe haben, finanzielle Engpässe erleiden? Und es andere Menschen gibt, die finanzielle Freiheit leben, Menschen gibt, die vorher vielleicht schon Entscheidungen getroffen haben, die sie dann in die richtige Richtung gebracht haben?» 

Das fragt Petar Trajkovski, Gründer des Konzepts «Die 10 Stunden Woche» im Einführungsvideo auf seiner Webseite. Für ihn liegt die Lösung in seinem selbstkreierten online Businessmodell. Flexible Arbeitseinteilung, Unabhängigkeit von Regierungsentscheiden, anderen Leuten Gutes tun und dabei erst noch mehr verdienen als mit dem aktuellen 100%-Job – das alles verspricht «Die 10 Stunden Woche».

Was Petar Trajkovski, der sich selbst gerne als «Coach Pepi» inszeniert, verspricht, nennt sich Multilevel-Marketing (oder auch Network Marketing) und ist keinesfalls eine neue Erscheinung. Die Grundidee des Direktverkaufs entstand schon 1948 mit der Firma Tupperware, die ihre Produkte bei privaten Heimvorführungen vertrieb. Aus dieser Idee entwickelten sich zahlreiche Geschäftsmodelle und Firmen, die auf diese Art des Vertriebs setzen. Statt Geld für Werbung, Lagerung und Vertrieb auszugeben, sollen Privatpersonen, sogenannte Vertriebspartner*innen, die Produkte in ihrem eigenen Netzwerk (früher im Freundes- und Bekanntenkreis, heute zunehmend auch über soziale Netzwerke) verkaufen und erhalten dafür eine Provision. Zudem gilt es, weitere Vertriebspartner*innen zu rekrutieren und an deren Verkäufen (durch Provision) mitzuverdienen. Um mit Multilevel-Marketing das grosse Geld zu machen, ist der Aufbau eines eigenen Vertriebszweigs also essenziell. Der Haken an der Sache: der pyramidenartige Aufbau solcher Unternehmen sorgt dafür, dass oft nur ein kleiner Teil der Leute damit das grosse Geld verdient. Eine US-amerikanische Studie kam gar zum Schluss, dass 99% der Teilnehmenden Geld verlieren.

Multilevel-Marketing bewegt sich oft in einem rechtlichen Graubereich in der Abgrenzung zu illegalen Schneeballsystemen. Im schweizerischen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 lit. r UWG) definiert sich ein Schneeballsystem wie folgt:

Unlauter handelt insbesondere, wer:
jemandem die Lieferung von Waren, die Ausrichtung von Prämien oder andere Leistungen zu Bedingungen in Aussicht stellt, die für diesen hauptsächlich durch die Anwerbung weiterer Personen einen Vorteil bedeuten und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Waren oder Leistungen (Schneeball-, Lawinen- oder Pyramidensystem);

Das Ganze ist relativ schwammig formuliert und es gibt viel Ermessensspielraum dafür, ab wann die Rekrutierung im Vordergrund steht und nicht mehr das eigentliche Produkt.

Multilevel-Marketing erzielt in der Schweiz laut Angaben des Schweizerischen Verband Network Marketing (SVNM) jährlich 200 Millionen Franken Umsatz und beschäftigt zwischen 60’000 und 70’000 Menschen. Die Mitgliedsfirmen des SVNM vertreiben hauptsächlich Nahrungsergänzungsmittel, Tierfutter und Gesundheits- und Beautyprodukte, darunter zum Beispiel Anti-Aging-Cremes mit Kolostrum (Erstmilch von Mutterkühen) oder Adventskalender für Katzen.

Multilevel-Marketing Unternehmen tendieren dazu, in Krisenzeiten zu florieren. Die Coronapandemie im Speziellen bot das perfekte Klima für weiteren Wachstum. Leute verloren ihre Jobs oder waren wegen Kurzarbeit auf der Suche nach neuen Einkommensquellen. Das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice (zum Beispiel, weil man Kinder zu betreuen hat) wuchs pandemiebedingt und das Leben verschob sich mehr in die digitale Welt. Wachsende Gesundheitssorgen steigerten die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten, eines der Kernsegmente von Multilevel-Marketing Unternehmen. All diese Faktoren sorgten dafür, dass der Direktvertrieb, anders als fast alle anderen Branchen, während der Pandemie weiteres Wachstum verzeichnete. Laut einer Befragung des US-amerikanischen Multilevel-Marketing Branchenverbands «Direct Selling Association» berichteten 65% der befragten Multilevel-Marketing Unternehmen im Februar 2021 von positiven Effekten von Covid-19 auf das Geschäft.

Einen vertieften Einblick in «Die 10 Stunden Woche», Petar Trajkovskis Inszenierung als «Coach Pepi» und Einschätzungen von Expert*innen gibt es im HILA.