Am Talende, wo einst der Gornergletscher durch die Felsschneise gelangte, soll zukünftig die 85 Meter hohe Mauer stehen. © Niklas Eschenmoser
Zwischen Stauen
und Schützen
Neue Wasserkraftprojekte üben Druck auf geschützte Naturräume aus. Was ist wichtiger: Der Nutzen oder der Schutz einer Landschaft?
Von Niklas Eschenmoser, 12.12.2022
13 Minuten
Das gleiche Thema, nur kürzer
Oberhalb von Zermatt am Gornerbach rauscht das Schmelzwasser über die Steine und fliesst im schnellen Strom durch das Tal. Im Jahr 1970 prägte hier noch der Bodengletscher, ein Ausläufer vom Gornergletscher, die Landschaft. Heute hat er ein idyllisches Tal hinterlassen. Am Ende bildete sich eine grosse Felsschneise, wo sich einst der Gletscher hindurch schmiegte. Genau in dieser Spalte soll eine 85 Meter hohe Mauer gebaut werden. 640 Gigawattstunden Strom für 150’000 Haushalte. Dies in einem geschützten Gebiet von nationaler Bedeutung. Raimund Rodewald, der Geschäftsleiter der Stiftung für Landschaftsschutz, redet von einer Landschaft mit absoluter ethischer Daseinsberechtigung.
Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie wollen Bundesrat und Parlament die erneuerbaren Energien im Eiltempo ausbauen. Der Druck der Politik verlangt zukünftig auch Energiebauten in unberührten und geschützten Landschaften zu bauen. «Das sind unsere allerwertvollsten Schutzgebiete, die nur gerade zwei Prozent der Landesfläche ausmachen, aber ein Drittel aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten beherbergen», sagt Julia Brändle, Gewässerschutz Expertin des WWF, gegenüber der Wochenzeitung.
Die aktuelle Energiemangellage erhöht jedoch den Druck vermehrt auf die inländische Produktion von Wasserkraft, Wind- und Solarenergie zu setzen. Eine Wende, die sowieso notwendig ist, um im Rahmen des Pariser Klimaabkommens die Klimaerhitzung bis 2050 auf 1.5° zu begrenzen und somit gravierende Folgen für Mensch und Artenvielfalt zu verhindern.
Zahlen zur Schweizer Stromproduktion
In der Schweiz befinden sich heute (31.12.2021) 682 Wasserkraftwerke, die 57% des Schweizer Stroms liefern. 2021 lieferte die Wasserkraft 37,2 Terawattstunden Strom pro Jahr. Somit ist die Wasserkraft die wichtigste einheimische Stromquelle. Momentan dienen die Stauseen als Stromspeicherung für die Wintermonate, in denen weniger Erträge aus Wind- und Solarenergie erzielt werden. Um die Stromknappheit im Winter zu kompensieren, importiert die Schweiz 5 TWh Strom aus dem Ausland. In den Sommermonaten exportiert das Land fast 30 TWh aus Kern- und Wasserkraftwerken.
Neben dem AKW-Strom, der den Grundbedarf an Strom deckt, hat die Wasserkraft eine ausgleichende Funktion für das Schweizer Stromnetz. Bei Bedarf kann schnell viel Energie aus den Speicherseen geliefert werden.
Damit stellt sich die Frage, ob die Prioritäten beim Schutz der Ökosysteme oder dem Nutzen der Landschaften gesetzt werden?
Stromleitungen im Grimselgebiet © Niklas Eschenmoser
Energiegesetz 2050
Schauen wir etwas zurück: Am 21. Mai 2017 nahm die Schweizer Bevölkerung das revidierte Energiegesetz an. Ein Gesetz, das beabsichtigt, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und die Erneuerbaren Energien zu fördern. Die Schweiz soll damit die Abhängigkeit von importierten fossilen Energien reduzieren und einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft anstreben.
Dafür hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Dezember 2021 verschiedenste Akteure aus den Kantonen, der Wasserkraftwirtschaft und verschiedenen Umweltorganisationen am «runden Tisch» zusammengerufen. Das Ziel: Bis 2040 sollen zusätzlich zwei Terawattstunden saisonale Speicherproduktion mit Wasserkraft erreicht werden. 15 neue Wasserkraftprojekte in der Schweiz stehen zur Diskussion. Der Runde Tisch beabsichtigte, «ein gemeinsames Grundverständnis für die Herausforderungen der Wasserkraft vor dem Hintergrund der Energiestrategie 2050, dem Klimaziel Netto Null, der Versorgungssicherheit und dem Erhalt der Biodiversität zu finden.» So steht es jedenfalls in der gemeinsamen Erklärung.
Der runde Tisch wird als Erfolg gefeiert. Auch der WWF, Pro Natura und der Schweizerischer Fischerei-Verband schreiben in ihrer damaligen gemeinsamen Medienmitteilung: «Die beteiligten Umweltverbände stehen ein für den Ausbau der erneuerbaren Energien, wenn man gemeinsam Lösungen entwickelt, die auch die Biodiversität berücksichtigen.»
Die Talsperre am Gornergletscher
Eine Organisation war mit der gemeinsamen Erklärung nicht zufrieden. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat auf ihre Unterschrift wegen einem Projekt auf der 15er Liste verzichtet: «Das Gornerli», wie der Name für das Grossprojekt oberhalb von Zermatt lautet, steht in einem der letzten grossflächig unberührten Gletscherlandschaften der Schweiz.
Zwischen den Felsen im Vordergrund sollte die 85 Meter hohe und 285 Meter lange Talsperre errichtet werden. Dahinter liegt das Gletschervorfeld des Gornergletschers. © Niklas Eschenmoser
Das Projekt am Gornergletscher weist unter den 15 Projekten die höchste Speicherkapazität für Winterstrom auf. Der Geschäftsleiter Raimund Rodewald meint, anders als bei den restlichen 14 Projekten fehlten bei dem Staumauerprojekt am Gornergletscher zum heutigen Zeitpunkt die Machbarkeitsstudien, und es weise die höchsten Eingriffspunkte auf. Rodewald sagt, man habe das Projekt voreilig, ohne die Details zu prüfen, auf die Liste der 15 Projekte genommen. Bei einem Projekt, mit derartig grossem Eingriff in Natur und Landschaft, findet er diese Vorgehensweise der Politik nicht zielführend. Die Stiftung für Landschaftschutz sieht eine Alternative darin, das Wasser in einen bestehenden Stausee zu führen.
Die Klimaerhitzung zwingt den Gornergletscher zum Rückzug und hinterlässt tosende Wasserfälle und ein komplexes Gletschervorfeld. In den nächsten Jahrzehnten wird hier ein natürlicher Schmelzwassersee entstehen. Der Energiekonzern Alpic sieht hier Potential, das Schmelzwasser für die Stromproduktion zu nutzen. Dafür soll das Wasser mit einem Stausee von 150 Mio. Kubik Volumen gestaut werden.
Rodewald meint, das Problematische sei nicht die Seenbildung an sich, sondern die wechselnden Wasserspiegel des unnatürlichen Stausees. Dies erschwert die Besiedlung von Vegetation an den Böschungen. Die einst gletscherfreie Schwemmebene mit frei fliessenden Gewässern, die für eine vielfältige Vegetation sorgt, würde durch den Stausee geflutet werden. Wie wertvoll solche Schwemmebenen sind, zeige der Morteratschgletscher.
Rodewald sagt: «Ein Gletscher ist auch dann noch vorhanden, wenn er wegschmilzt, da die Geomorphologie und die Schmelzwasservorgänge zum Phänomen Gletscher dazugehören.»
Was bedeuten Geomorphologie und Vegetation?
Geomorphologie ist die Lehre von den Formen der Erdoberfläche, ihrer Entstehung und Veränderung, den daran beteiligten Prozessen und ihrer Modellierung.
Vegetation ist die Gesamtheit aller Pflanzen eines bestimmten Gebiets. Sie ist stark geprägt vom dort herrschenden Klima, dem Boden, dem Wasservorkommen und den Tieren, die dort leben.
Durch die Klimaerhitzung werden diese Lebensräume für die Artenvielfalt immer wichtiger. Zukünftig werden Gletschervorfelder Rückzugsgebiete für Arten, die aufgrund der Hitze in höher gelegene Gebiete abwandern müssen.
Ungehindert rauscht das Wasser des Gornerbachs durchs Tal.
© Niklas Eschenmoser
Die Felsschneise unterhalb des Gornergletschers. Zwischen den Felsen sollte die 85 Meter hohe Mauer errichtet werden.
© Niklas Eschenmoser
Laut Alpic ist der Eingriff ein vergleichsweiser geringer Eingriff, wie es in ihrem Projektbeschrieb auf der Webseite steht:
«Es gibt in der Schweiz kaum eine günstigere Lage, um so viel zusätzlichen, steuerbaren Winterstrom zu produzieren. Mit Ausnahme einer vergleichsweise niedrigen Staumauer und einer Pumpstation müssten keine weiteren Installationen gebaut werden – also keine Druckleitungen, keine Zentrale, keine neuen Strommasten. Aus Sicht der Winterversorgung ist dieses Projekt ein Muss.»
Wie unberührt ist die Landschaft vor Ort?
Auf meiner Reise in Zermatt, hatte ich nicht den Eindruck einer «unberührten Landschaft» zu begegnen. Skipisten und Liftanlagen brechen das Landschaftsbild. Auch der Gornerbach wird durch ein kleines Kraftwerk unterbrochen. Auf meine Frage, ob diese Staumauer wirklich noch einen Unterschied machen würde, antwortet der Landschaftsschützer Rodewald wie folgt:
«Es geht um das Gletscherbecken als solches, das mit Ausnahme der Monte Rosa Hütte, unberührt ist. Diese Gletscherlandschaft hat für mich eine absolute ethische Daseinsberechtigung. Es ist eine von den ganz wenigen monumentalen Naturlandschaften in den Alpen. Ein solches Gebiet könnte eine Art Menschenrecht bekommen, wie es in Neuseeland bereits gemacht wird.»
Auch Umweltverbände wie der WWF sehen die Wasserkraft nicht per se als «grün» wie sie auf ihrer Website schreiben: «Mehr als 95 Prozent des nutzbaren Potenzials der Wasserkraft in der Schweiz sind bereits genutzt, die Grenze der ökologischen Belastbarkeit ist überschritten».
Trotzdem stehen die Umweltorganisationen WWF, Pro Natura und der Fischereiverband hinter der 15er Liste der Erklärung des runden Tisches und damit dem umstrittenen Gornerprojekt. Dazu schreibt der Beobachter: «Einige Umweltverbände machten nur mit, weil sich mit einer grossen Mauer bis zu zehn kleine Dämme verhindern lassen.»
Der schmelzende Triftgletscher hat einen Schmelzwassersee gebildet, welcher mit einer neuen Talsperre gestaut werden sollte. © Niklas Eschenmoser
Die Mauer am Triftgletscher
Ein anderes Wasserkraftprojekt, bei dem gemeinsame Verhandlungen einen Kompromiss ausgelöst haben, ist das Triftprojekt. Hier liefen Verhandlungen mit den Umweltorganisationen WWF, Pro Natura, dem Fischereiverband und dem SAC. Die Firma Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) will hier eine neue Staumauer bauen, um zusätzlichen Winterstrom zu generieren. Nadja Ruch von der KWO meint, der Erfolg an dem Projekt liege in den frühzeitigen Verhandlungen mit allen Parteien.
Diese konnten sich darauf einigen, die Gewässerstrecke oberhalb des Wendenwassers nicht zu nutzen. Gleiches gilt für die zwei weiteren Bäche Giglibach und Treichigraben. Zusätzlich wird das Kraftwerk Fuhren aus den 60er Jahren weiter unten im Gadmertal zurückgebaut werden. Somit wird der Fluss Gadmerwasser renaturiert. Auch die Zufahrt zur Baustelle der Triftmauer solle unterirdisch mit einem über vier Kilometer langen Tunnel erfolgen, um den landschaftlichen Schaden zu verringern.
Was macht die KWO?
Die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) ist, neben der Alpic eines der führenden Wasserkraft Unternehmen der Schweiz. Sie besitzt acht Speicherseen und 13 Kraftwerke, die pro Jahr 2300 Gigawattstunden Strom produzieren. Strom für 1 Million Haushalte. Quelle: KWO
In der Schlucht, über die momentan die Triftbrücke führt, würde die 177 Meter hohe Mauer das Schmelzwasser speichern. © Niklas Eschenmoser
Anders als beim Gornergletscher hat sich beim Triftgletscher bereits ein natürlicher Schmelzwassersee gebildet. «Wasser das im Sommer einfach das Tal hinabfliesst, könnte hier für die Wintermonate gespeichert werden», sagt Nadja Ruch von der KWO. Auch die Stiftung für Landschaftschutz hält das Projekt für realisierbar. «Der Eingriff sei zwar gross, aber rechtlich vertretbar», meint Raimund Rodewald. Die Machbarkeit ist vom Regierungsrat über 2.5 Jahre geprüft worden. Im Frühling 2022 hat er das das Projekt zusammen mit der Erhöhung der Grimselmauer als realisierbar eingestuft.
Kritik am Triftprojekt besteht weiterhin vom Grimselverein. Dieser wehrt sich seit Jahrzehnten gegen die Verbauung im Trift- und Grimselgebiet. Der Verein schreibt: «Die verbleibenden unberührten Gewässer und die durch Gletscherrückgänge entstehenden alpinen Auen sind für die Biodiversität unverzichtbar. Wasserkraftprojekte in diesen sensiblen Biotopformen sind nicht verhandelbar.»
Auch die Landschaftsschutzorganisation Mountain Wilderness schreibt auf ihrer Website: «Der Neubau in wilden Gebirgslandschaften ist für uns insbesondere unangemessen, solange keine starken politischen Signale und wirksamen Massnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs umgesetzt sind.»
Wann die Mauer an der Trift wirklich kommt, ist noch unklar. Einsprachen sind immer noch möglich. Der politische Druck sei aufgrund der aktuellen Energiekrise jedoch gestiegen, sagt Nadja Ruch.
Am Grimselsee wird die Ersatzstaumauer Spitallam gebaut. Die 90 jahre alte Mauer, die mittlerweile sanierungsfällig ist, muss ersetzt werden. © Niklas Eschenmoser
Grimselprojekt
Eine ähnliche Diskussion wird nur ein Tal weiter westlich geführt. Am Grimselsee.
Hier wird momentan an der Ersatzmauer für die sanierungsfällige Spitallam Mauer aus dem Jahr 1932 gebaut. Seit über 20 Jahren läuft ein Verfahren, die neue Mauer um 23 Meter zu erhöhen. Dies würde die Überschwemmung von Moorbiotopen, Schwemmebenen und Auengewässern im Vorfeld des Unteraargletschers bedeuten. Ein Gebiet, das sich wie der Gornergletscher in einem Schutzgebiet von nationaler Bedeutung (BLN) befindet.
Was ist ein BLN Gebiet?
Das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) bezeichnet die wertvollsten Landschaften der Schweiz. Das BLN zeigt mit seinen 162 Objekten eindrücklich den landschaftlichen Reichtum der Schweiz. Bund und Kantone sind gesetzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, den natur- und kulturlandschaftlichen Charakter dieser Gebiete und ihre prägenden Elemente ungeschmälert zu erhalten. Die Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung geben Aufschluss über erdkundliche, biologische und geschichtliche Zusammenhänge unseres Landes. Sie bieten der Gesellschaft Identifikationsmöglichkeiten und sind wichtige Orte der Erholung. Das alles wirkt sich positiv auf das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit aus und trägt gleichzeitig zur touristischen Wertschöpfung der Landschaft bei. Quelle: BAFU
Der Unteraargletscher mit der Schwemmebene im Gletschervorfeld, die in den Grimselsee verläuft. © Niklas Eschenmoser
Mit der aktuellen Energiemangellage entflammte die Diskussion zur Versorgungssicherheit diesen Herbst erneut. Im September 2022 hat der Nationalrat beschlossen, die normalen Rechtsverfahren teilweise auszuhebeln. «In einem dringlichen Bundesgesetz erteilt der Rat weitgehend eine Carte blanche für eine rasche Erhöhung der Staumauer um 23 Meter», schrieb der Tagesanzeiger. Der Grimselverein redet von «einem schwarzen Tag für die Grimsel»
Mit dem Vorstoss von Albert Rösti, angehender SVP Bundesrat und Präsident des Wasserwirtschaftsverbandes werden die Umweltverträglichkeitsprüfungen nun nicht mehr nötig sein.
Auch die Lex-Grimsel, die in der vergangenen Herbstsession verabschiedetet wurde, mache öffentlichen Druck, die Staumauern endlich zu erhöhen. Das sei grundsätzlich ein gutes Signal für die KWO und die Versorgungssicherheit der Schweiz, meint Nadja Ruch. Trotzdem sind neben der Konzession und der Baubewilligung noch viele Komponenten ungewiss.
Starkstromleitungen führen durch einen unterirdischer Durchgang im Handeck Kraftwerk. © Niklas Eschenmoser
Insgesamt unterhält das Wasserkraftunternehmen KWO 13 Kraftwerke und 28 Turbinen. © Niklas Eschenmoser
Mit 40 Bar Druck schiesst das Wasser auf das knapp eine Tonne schwere Laufrad. Das 850‘000 Franken teure Herzstück steht als Ersatz im Kraftwerk Handeck 2E. © Niklas Eschenmoser
Das neuste Modell einer Turbine im Handeck Kraftwerk Handeck 2E. Wenige Meter unter dem Boden prallt das Wasser auf das Laufrad.
© Niklas Eschenmoser
Die Energiewende
Durch den schrittweisen Wegfall der Atomenergie müssen wir die fehlenden 45-50 Terawattstunden mit erneuerbaren Energien kompensieren. Raimund Rodewald meint: «Wir befinden uns in einer Illusion, wir setzen auf erneuerbare Energien, aber werden zukünftig von AKW-Strom aus dem Ausland, vorwiegend Frankreich, abhängig sein.» Der Strombedarf nimmt weiter zu und es gibt keine Massnahmen, um den Konsum einzudämmen. Auch der Verkehr und die Industrie sollen komplett verstromt werden. Rodewald findet dies kritisch. Es braucht auch andere Energieformen, wie zum Beispiel synthetische Treibstoffe und Lösungen, um Strom über eine längere Zeit zu speichern, und zwar nicht nur mit Speicherseen.
Auch die KWO als Wasserkraftunternehmen blickt ungewiss in eine Zukunft ohne die Kernenergie. Najda Ruch von der KWO hält das Szenario, dass die Schweiz zukünftig zu wenig Strom im Winter hat für realistisch. Die Abhängigkeit vom Ausland ist unumstritten. Durch die Umstellung auf die Erneuerbaren Energien werde das Stromnetz mit grösseren Unregelmässigkeiten konfrontiert. Wind- und Solarenergie sind stark Wetterabhängig und liefern in den Sommermonaten am meisten Strom. Die Wasserkraft wird zukünftig öfters eingreifen müssen, um das Stromnetz auf die Grundlast von 50hertz zu stabilisieren.
Die Einheiten für den Energieverbrauch
Der Stromverbrauch wird in Kilowattstunden (kWh) gemessen, also wie viel Kilowatt in einer Stunde verbraucht wird. 1 Milliarde Kilowattstunden sind eine Gigawattstunde (GWh) und 1000 Gigawattstunden sind eine Terawattstunde (TWh).
In der Zentrale in Innertkirchen wird der vorgegebene Stromfahrplan des Tages beobachtet und eingegriffen, wenn das Stromnetz mit dem Wasserkraftstrom ausgeglichen werden muss. Dafür kann per Knopfdruck jede Turbine 13km weiter oben im Handeck Kraftwerk angesteuert werden. © Niklas Eschenmoser
Die Solaroffensive
Um den nötigen Energiebedarf zu decken, wird es Eingriffe in die Natur im Alpenraum geben, das sagt auch Rodewald. Anstatt diese Eingriffe in unberührten Landschaften zu machen, wie bei den Solargrossprojekten Gondo und Grengolis, sollte jedoch zuerst das Potential an bestehenden Bauten ausgenutzt werden. «Der Naturraum sei zu wertvoll, um alles zu verbauen.» In den sonnenreichen Bergregionen und Tourismusgebieten wie Grand Montana oder Verbier liegt der Anteil von Photovoltaik unter 10%. Hier sieht Rodewald ein riesiges Potential. Es kann auch sinnvoll sein, Solarpanels nahe bestehender Stauseen zu installieren. Die Idee geht sogar einen Schritt weiter, indem schwimmende Solaranlagen auf Stauseen installiert werden. So könne man die Energieinfrastrukturen bündeln und Landschaften schonen.
Die Zukunft der Schweizer Wasserkraft
Das Wasserschloss Schweiz wird trotz des rasanten Gletscherrückgangs noch einige Jahrzehnte von der Wasserkraft profitieren. (Interaktive Karte, die Gletscherschwund zeigt) Dies ist der hohen Niederschlagsmenge in den Bergen zu verdanken. Mit Wasser Energie zu generieren, wird auch in Zukunft attraktiv bleiben und somit sind auch weitere Bauprojekte in Planung. 17 weitere Projekte sind in Vorbereitung. Nach den neuesten Recherchen vom Beobachter sind die 15 Wasserkraftprojekte, die am runden Tisch diskutiert wurden, nur der Anfang.
Das Ufer vom Speichersee Räterichsbodensee, unterhalb vom Grimselsee. © Niklas Eschenmoser
Eine weitere Reportage: Schluss mit Tod schweigen